Transprovence 2018

3.9. – 9.9.2018

Malaucene (F) – Menton (F)

499 km, 14168 hm, 7 Etappen

 

Yep, wir haben uns auch dieses Jahr wieder aufgerafft. Seppl konnte dieses Mal leider aus beruflichen und privaten Gründen nicht mitfahren. Schade, so blieben nur Gunther und ich.

Die Vorbereitungsphase war dieses Jahr recht lang, weil wir die Tour aus verschiedenen Gründen auf Anfang September terminiert haben. Trotzdem haben wir beide unsere selbstgesetzten Gewichtsziele nicht ganz erreicht.

Nicht so schlimm, denn die Tour sollte fast vollständig auf französischem Boden verlaufen, und Frankreich hatten wir bei beruflichen und privaten Reisen als kulinarisches Notstandsgebiet kennengelernt. Da könnte sich die eine oder andere kleine Fettreserve als nützlich erweisen.

Wir hatten uns für dieses Jahr die TransProvence-Tour ausgesucht, die Achim Zahn auf seiner Homepage als geführte Tour anbietet. Da wir aber für „betreutes Radeln“ zu jung sind, wollten wir auf eigene Faust losziehen. Leider ist Zahns Tourenbeschreibung aus offensichtlich betriebswirtschaftlichen Gründen sehr dürftig, deshalb haben wir die sauteuren GPS-Daten vom Meister erstanden. Außerdem haben wir, weil die Strecke durch recht abgelegenes Terrain führt, einen kompletten Satz 1:25.000 Karten erstanden. Diese waren zwar recht schwer zu beschaffen, aber online hat es dann doch geklappt. Etwas schockiert waren wir allerdings schon, als die Waage knappe 1,5 kg für die 13 Karten anzeigte.

 

2.9.2018, Anreise

Um circa 7:15 Uhr bin ich in Overath aufgebrochen und nach etwas weniger als zwei Stunden bei Gunther im Herzen Rheinhessens angekommen. Die Familie saß beim Frühstück und die Tochter des Hauses war noch etwas derangiert. Nach der obligatorischen Abschieds-Zeremonie inklusive Proviantübergabe konnte es dann pünktlich zum angestrebten Zeitpunkt losgehen.

Der Verkehr auf den Straßen war überschaubar und so sind wir bei tollem Wetter gut nach Malaucène durchgekommen. Schon bei der Anfahrt konnten wir den Mont Ventoux erblicken, den legendären Tour-de-France Berg und die erste Bergwertung unserer Tour.

Wir hatten sämtliche Übernachtungen vorgebucht, weil es einfach entspannter ist, wenn man abends nicht mehr nach einer Bleibe für die Nacht suchen muss, besonders, wenn man sich in einer Gegend rumtreibt, wo diese recht dünn gesät sind. In Malaucène hatten wir uns im Hotel Le Blueberry angemeldet. Das Hotel machte von außen und innen einen recht akzeptablen Eindruck und befand sich ziemlich Zentral in dem Örtchen, was die abendliche Suche nach Essbarem erleichtern sollte. Zunächst aber wollte das Auto versorgt werden. Ein legaler und sicher erscheinender Langzeitparkplatz war bei der örtlichen Post in akzeptabler Entfernung schnell gefunden.

Die Empfehlung von Trip Advisor betreffend des Etablissements für das abendliche Mahl konnte allerdings unseren Ansprüchen nicht genügen. Wir haben uns deshalb auf unser eigenes Urteilsvermögen verlassen. Die Pizzeria nebenan erschien uns angemessen. Die Menü-Folge „erst Nudeln, dann Pizza“ sollte sich in den nächsten Tagen noch einige Male wiederholen. Für die roten Blutkörperchen gönnten wir uns noch zwei Fläschchen Rotwein, was sich in der Nacht und am folgenden Morgen als eine zu viel erweisen sollte. Alles in Allem waren wir aber mit dem Gebotenen zufrieden, zumindest blieb das erwartete lukullische Desaster aus.

Weinselig und schweren Herzens entschlossen wir uns beim Abendessen für die abgespeckte Kartenvariante, indem wir die Karten für die letzten Tourtage durch eine Karte im Maßstab 1:100.000 ersetzten. Dadurch konnten wir satte 5 Karten einsparen und das Gewicht unserer Rucksäcke um zusammen fast 800 g reduzieren.

Gegen 22:30 Uhr verkrochen wir uns dann in unsere ganz akzeptablen Einzelzimmer.

 

3.9.2018, Erste Etappe, Malaucèn – Sisteron

111,8 km, 2684 hm bergauf, 2511 hm bergab

Um 7:15 Uhr trafen wir uns zum Frühstück, welches für französische Verhältnisse ganz gut war. Es gab jedenfalls nicht nur ein trockenes Croissant und einen Eimer Kaffee.

Draußen schien die Sonne und die Wettervorhersage für die nächsten Tage war sehr positiv. Zu Fuß schlappten wir zum Auto, wo noch ein paar wichtige und potentiell folgenschwere Entscheidungen betreffend der mitzuführenden Ausrüstung zu treffen waren: Sollte der Transponder für den Autoschlüssel aus Gewichtsgründen sicher in geeigneter Abschirmung verpackt im Auto bleiben? Sollten wir jeweils nur einen oder doch besser zwei Reserve-Schläuche mitnehmen? Fatalerweise entschied ich mich bei dieser Frage für die gewichtsoptimierte Variante, was ich noch am selben Tag bereuen sollte.

Um 9:00 Uhr, nach dem obligatorischen Start-Selfie, erschallte dann endlich das lang ersehnte Klicken der Clickpedale, quasi als symbolischer Startschuss zu dem Event, auf den wir einige Monate hingearbeitet hatten.

Am Ortsausgang besorgte Gunther noch kurz eine Batterie für seinen stromfressenden Radcomputer, dann rollten wir bei strahlendem Sonnenschein auf einer Landstraße Richtung Mont Ventoux. Mit jedem Kilometer verdichtete sich das Rennradler-Aufkommen. Nach ein paar Kilometern bogen wir auf einen anfangs gut fahrbaren, später recht grobschottrigen Weg ab. Auch wenn das Hinterrad gelegentlich um ausreichen Traktion rang konnten wir die erste Schiebepassage noch vermeiden. Circa 400 Höhenmeter unterhalb des Gipfels mündete der Weg in einer Kehre wieder auf die Straße, auf welcher wir leidlich erfolgreich versuchten, uns nicht allzu oft von Rennradlern überholen zu lassen. Einige kommerzielle Sportfotographen wollten unsere Bergankunft im Bild festhalten, deshalb bemühten wir uns um ein nicht allzu abgekämpftes Erscheinungsbild.

Oben angekommen füllten wir unsere Radflaschen auf, machten ein paar Fotos und flüchteten schnellstmöglich vor dem Rummel auf dem eigentlich recht hässlichen Berg. Dabei schossen wir an dem Abzweig vorbei, auf dem wir eigentlich den Asphalt wieder verlassen sollten. Dank GPS haben wir das aber nur ein paar hundert Meter weiter bemerkt, direkt vor dem Denkmal für den 1967 bei der Tour de France verstorbenen Radrennfahrer Tom Simpson. Von hier aus kraxelten wir circa 300 m über ein Geröllfeld zurück auf unseren Track. Die losen Steine klirrten wie Glasscherben unter unseren Latschen, und man hätte daraus vielleicht ableiten können, dass sie auch so scharfkantig sein könnten. Haben wir aber nicht, jedenfalls nicht sofort. Auch nicht, als sich mein Hinterreifen mit einem lauten Knall schlagartig von jeglichem Druck befreite. Allerdings fing ich an, die Entscheidung, nur einen Reserveschlauch mitzunehmen zu bereuen. Erst recht beim Anblick des etwa 2 cm langen, augenscheinlich irreparablen Risses, den wir nach der Demontage entdeckten. Schlauerweise verzichtete ich auf gründliche Ursachenforschung und montierte den einzigen Ersatzschlauch, den ich hatte. Dieser hat dann auch fast einen Kilometer gehalten, bevor ein erneuter Knall neues Unheil ankündigte. Bei der verspäteten Analyse verdächtigten wir zunächst ein verrutschtes Felgenband als Verursacher und bastelten Ersatz aus Gewebeband. Erst bei der Montage des Reifens fiel uns ein klaffender Schnitt in der Seitenwand des Reifens auf. Mist, was jetzt? Wir hatten noch gut 70 km vor uns, die nächste Straße war 20 km entfernt. Das gelegentliche Knallen von Schrotflinten trug auch nicht gerade zur Beruhigung bei. Wir hofften, dass uns keiner der Jäger für Wildschweine hielt.

Mit dem gerade demontierten Felgenband verstärkten wir den Reifen von innen, montierten den Schlauch, pumpten auf Minimaldruck auf und hofften das Beste. Das schien zu funktionieren, aber ich hatte schon entspanntere Abfahrten. Wie auf Eiern kroch ich den Singletrial talwärts, teils fahrend, teils schiebend. Mein zunehmender Übermut wurde nur vorübergehend durch einen Abgang über den Lenker eingebremst. Ein paar Kratzer und eine verlorene Sehhilfe waren aber zu verschmerzen, und endlich kam die Straße in Sicht. Noch 50 km, und nur 600 Höhenmeter nach Sisteron, wo wir um 18:30 Uhr endlich ankamen. Leider hatte der örtliche Radladen schon geschlossen. Wir checkten im Grand Hotel du Cours ein und reservierten einen Tisch im dazugehörenden Restaurant. Wir hatten nämlich den ganzen Tag nichts gegessen. Eine Hüttenkultur wie in den österreichischen oder italienischen Alpen gibt es in den französischen Westalpen nicht. Zum Ausgleich gönnten wir uns zum Abendessen jeweils zwei Hauptgerichte und bestellten bei der etwas verwunderten Bedienung ein Rindersteak, nachdem wir unseren Nudeln-Gang verdrückt hatten. Das Essen war wirklich in Ordnung, und weil wir vom Vortag gelernt hatten, musste heute eine Flasche Rotwein reichen. Dafür gönnten wir uns noch einen Pastis, bevor wir uns gegen 23:00 Uhr in unsere Einzelzimmer zurückzogen

 

4.9.2018, Zweite Etappe, Sisteron – Digne-Les-Bains

83,4 km, 1899 hm bergauf, 1786 hm bergab

Das erste Problem des Tages kündigte sich schon vor dem Frühstück an. Um 7:30 Uhr klopfte Gunther an meine Zimmertür und verkündete, dass sämtliche GPS Daten von seinem Garmin-Navi verschwunden wären. Er vermutete, dass er die Daten am Vorabend versehentlich gelöscht hatte. Wir hatten ja noch mein Navi, und da beide Geräte laut Hersteller angeblich kabellos koppelbar sein sollten, versuchten wir, dies zu tun und die Daten von meinem Gerät auf Gunthers Navi zu schupsen. Das hat zwar nicht geklappt, dafür habe ich dabei die Daten für die heutige Etappe zerschossen. Der Tag fängt ja super an. Also erst mal zum Frühstück, und zumindest das war ok, wenn auch nicht gerade ein Schnäppchen.

Im Hotel wurde uns ein nahegelegener Fahrradladen empfohlen, welcher um 9:00 Uhr öffnen sollte. Außerdem haben wir im Internet einen Garmin-Händler in der Nähe ausfindig gemacht. Also machte ich mich auf zum Radladen, während Gunther beim Garmin-Juwelier bei der Aktion Datenrettung Hilfe suchte. Beides hat nicht geklappt, der Fahrradladen sollte erst um 14:00 Uhr öffnen und der Garmin-Typ konnte nicht helfen.

Betreffend meines Reifens war die letzte Hoffnung ein Intersport etwa 6 km außerhalb der Stadt. Zum Glück lag das ungefähr auf unserer Strecke. Dort fand ich dann auch einen passenden Reifen. Der war zwar ziemlich schwer, aber dafür sollte er auch leidlich robust sein. Außerdem habe ich noch zwei extradicke Ersatzschläuche sowie ein Felgenband erstanden. Während ich vor dem Laden meine Beute montierte, machte sich Gunther auf die Suche nach einem Computer, mit dessen Hilfe wir hofften, die GPS-Daten von meinem auf sein Gerät kopieren zu können. Einen Computer konnte Gunther zwar bei einem Reifenhändler in der Nähe finden, aber funktioniert hat der Datentransfer leider nicht. Also machten wir uns ohne GPS-Track auf den Weg und bemühten die Auto-Routing-Funktion des Garmin. Ich weiß bis heute nicht, ob wir da etwas mit den Einstellungen vergeigt haben, jedenfalls schien uns das Gerät unter Ausnutzung sämtlicher Steigungen geradewegs in die Walachei zu lotsen, obwohl wir eigentlich nur auf einer kleinen Straße durch ein Tal hätten rollen müssen. So aber haben wir ein paar recht steile Schiebestücke eingebaut. Eine schweißtreibende Beschäftigung, zumal es auch schon wieder fast 30 Grad warm war.

Etwas frustriert über den bisherigen Verlauf des Tages und der Tatsache, dass wir für Rest des Tages weder einen guten Plan noch GPS-Daten hatten, suchten wir bei Salat und Orangina-Schorle Trost in einem kleinen Straßenrestaurant in La Motte Du Caire. Während wir über den Papierkarten brüteten, traf uns aber ein plötzlicher Geistesblitz. Eventuell könnte das Problem mit Gunthers GPS Daten ja daran liegen, dass die Speicherkarte nicht korrekt eingelegt war!? War sie nicht… nach korrektem Einlegen und Verriegeln der Karte waren die Daten wieder da. Wir waren also wieder im Geschäft. Für die originale Zahn-Etappe war es aber mittlerweile zu spät. Egal, wir hatten ja schon eine Alternative ausgearbeitet. Diese führte uns zunächst auf Asphalt, dann auf Schotter auf teilweise extrem steilen und für uns nicht fahrbaren Sträßchen und Trials über den Col de Font Belle und den Col de l’Hysope. Die letzten 15 km folgten wir wieder der originalen Strecke über kleine Wegen und Sträßchen und durch malerische Dörfchen nach Dignes-Les-Bains.

Zunächst hatte ich den sehr kurz geratenen Hotelier im Hotel Central komplett hinter dem Tresen übersehen, aber als sich der freundliche Herr akustisch bemerkbar gemacht hat, klappte das Einchecken problemlos. Schnell hatten wir die Räder im Heizraum des Hotels verstaut, um dann gleich rüber in die Bar nebenan auf ein paar Radler zu gehen. Diese wurden auch relativ zügig von einem Kellner mit unglaublich dreckigen Klamotten serviert. Gegen den Kerl waren sogar wir relativ sauber. Trotzdem gönnten wir uns vor dem Abendessen eine Dusche und haben auch unseren Klamotten noch gewaschen. Gunther hatte zuhause für jede Station die kulinarischen Highlights ergoogelt. In Digne-Les-Bains waren die sorgsam auf einem Zettel notierten Genusstempel an diesem Tag aber leider alle geschlossen. Wir machten uns also ganz altmodisch auf die Suche. Da die mittlerweile bewährte Kombination von Nudeln und Fleisch nirgends zu finden war, gönnten wir uns erst eine Portion Spagetti beim Italiener. Als Gunther beim Bezahlen einen Blick auf den Koch werfen konnte, stellte er fest, dass schmuddelige Klamotten hier in der Gastronomie wohl nicht ganz unüblich sind. Trotzdem ist uns der Hunger nicht vergangen und wir zogen zum Fleisch-Gang  10 Meter weiter ins Etablissement nebenan. Das Rindersteak war ok, aber nicht umwerfend, und schon gar nicht so gut wie das am Vortag. Dafür war es halt etwas teurer.

In der Schmuddelbar neben unserem Hotel bestellten wir bei der versifften Ordonanz zum Abschluss noch einen Pastis, bevor wir uns gegen 22:45 Uhr in unsere Gemächer zurückzogen.

 

5.9.2018, Dritte Etappe, Digne-Les-Bains - Villars-Colmars

65,1 km, 2175 hm bergauf, 1567 hm bergab

Obwohl unsere Fenster Richtung Hauptstraße zeigen, war es nachts nicht so laut wie befürchtet. Erst als morgens um 6:30 Uhr das Müllauto mit integriertem Laubbläser am Fenster vorbeifuhr, war es um die Bettruhe geschehen. Das Frühstück war französisch-spartanisch und wurde vom Tresen-Knirps vom Vortag geschäftig serviert.

Auch heute war das Wetter wieder super. Nachdem wir unseren geschundenen Rädern ein paar Tropfen Öl gegönnt hatten, gingen wir um 8:15 Uhr die dritte Etappe an und hofften auf einen Tag ohne nennenswerte Zwischenfälle.

Auf Asphalt radelten wir aus der Stadt und absolvierten auch die ersten Höhenmeter des Tages, bevor wir links auf einen Schotterweg abbogen. Dieser war zwar teilweise recht steil, aber noch fahrbar. Nur die letzten 200 Höhenmeter zum Pas de la Faye bescherten uns 30 Minuten Schieben und Tragen auf einem recht schmalen Single-Trial. Oben auf dem Pass machten wir erstmal Pause. Wir beobachteten gerade einen Steinadler, der die Thermik nutzend seine Kreise zog, als plötzlich ein Segelflieger dieselbe Thermik suchend haarscharf an der Felskante entlang, und dann noch haarschärfer über unsere unbehelmten Köpfe schoss.

Die Abfahrt auf dem Trial war für uns zu ca. 70% fahrbar. Nach ein paar hundert Höhenmeter bog der Weg auf einen etwas breiteren, abschüssigen Wirtschaftsweg, der es uns erlaubte, unsere Fahrgeschwindigkeit soweit zu erhöhen, dass wir den aus einem Hof schießenden, zugegebenermaßen etwas kurzbeinigen Köter relativ leicht abhängen konnten.

Der Wasserstand in unseren Radflaschen war mittlerweile bedenklich niedrig, und von Gastronomie war weit und breit nichts zu sehen. In einem etwas heruntergekommenen, aber durchaus pittoresken Dorf konnten wir aber unsere Radflaschen am örtlichen Brunnen auffüllen. Das war auch dringend notwendig, denn der anschließende Anstieg über den Col du Defens zum Col de Séoune bescherte uns nämlich nochmal 30 Minuten Schieben in praller Sonne auf einem teilweise extrem steilen Schotterweg.

Die Abfahrt war dafür komplett fahrbar. Unten angekommen füllten wir nochmal unsere Radflaschen an einem Dorfbrunnen. Die letzten 18 Kilometer nach Villars-Collmar verliefen erst auf einem kleinen Landsträßchen, dann auf einer zwar breiten, aber wenig befahrenen Hauptstraße leicht bergauf. Dort haben wir es nochmal fliegen lassen, weil wir ziemlich Hunger hatten. Einkehrmöglichkeiten an der Strecke gab es nämlich den ganzen Tag keine.

Der letzte Teil der Etappe entsprach nicht ganz dem Zahn’schen Original. Wir hatten schon im Vorfeld beschlossen, dass wir auf das von Zahn vorgeschlagene Massenlager in der Gite ´d Etappe am Col Saint Michel gerne verzichten wollten und stattdessen lieber den Komfort eines Gasthauses in Anspruch nehmen würden. Das Nächstgelegene war das Hôtel Restaurant Le Martagon in Villars-Colmars, wo wir um 16:30 Uhr ankamen. Das kleine Hotel liegt sehr idyllisch und wir haben uns gleich wohl gefühlt, besonders als wir auf der Terrasse saßen und die servierten Schinken- und Käsebrote mit ein paar Radler runterspülten.

Nach dem Duschen und Wäschewaschen war dann sogar noch eine Stunde Zeit für ein Nickerchen in den sauberen und gemütlichen Einzelzimmern. Für 19:30 Uhr hatten wir einen Tisch im Restaurant reserviert, weil dieses erstens als Empfehlung auf Günthers Zettel stand und zweitens fußläufig sowieso keine Alternative erreichbar war. Das Essen dort war wirklich klasse. Die drei Halbpension-Gänge starteten mit Foie-Gras, dann gab es ein recht gutes Steak. Tiramisu musste auch noch sein, und ohne den mittlerweile obligatorischen Pastis konnten wir uns sowieso nicht in unsere Betten verkriechen, was wir dann um 23:00 Uhr taten.

 

6.9.2018, Vierte Etappe, Vilars-Colmars – Valberg

57,4 km, 1794 hm bergauf, 1347 hm bergab

Draußen schien die Sonne vom strahlend blauen Himmel. Allerdings sollte es ab Mittag heftig regnen, und auch die Wetter-App prognostizierte eine Regenwahrscheinlichkeit von 100%. Aus diesem Grund haben wir uns beim recht guten Frühstück dafür entschieden, nicht über den Col Saint Michel zu gehen. Dieser Übergang beinhaltet nämlich eine recht lange Schiebestrecke in ausgesetztem und exponiertem Gelände, welches man bei Gewitter besser meidet.

Stattdessen wollten wir diesen kritischen Übergang auf der Straße umfahren. Vorher allerdings machten wir noch ein Foto mit Selbstauslöser vor unserem malerischen Hotel.

Die Shuttle-Radler an der Bushaltestelle bedachten uns mit mitleidigen Blicken, als wir an ihnen vorbeifuhren, aber die 900 Höhenmeter auf dem kleinen Teersträßchen hoch zum Col de Champ waren sehr angenehm zu fahren. Es wurde allerdings schon deutlich kühler und am Himmel zogen dicke Regenwolken auf. Trotzdem wollten wir oben auf der Passhöhe noch kurz ein Foto schießen. Wollten wir… aber dazu braucht man eine Kamera, und die hatte ich nach dem letzten Selfie vor dem Hotel schlauerweise stehen einfach stehen lassen.

Ich habe gleich im Hotel angerufen und nachdem ich mich mit meinen lausigen Französischkenntnissen einigermaßen verständlich gemacht hatte, hat sich das sehr hilfsbereite Hotel-Team gleich auf die Suche nach dem Ding gemacht, während ich live übers Telefon über den Verlauf der Suchaktion informiert wurde. Meine mageren Kenntnisse der französischen Sprache haben aber dazu geführt, dass ich das Suchgebiet nicht eindeutig beschreiben konnte, und so blieb die Suche zunächst erfolglos.

Die 800 Höhenmeter lange Abfahrt auf Asphalt half, vom Frust etwas abzulenken. Anfangs war es noch ziemlich kalt, aber weiter unten schien noch die Sonne und es war auch angenehm warm. Deshalb beschlossen wir, eine Nudelpause auf der Terrasse eines Restaurants an der Straße einzulegen. Das Servierte war schmackhaft und gar nicht so teuer. Für Freude sorgte auch der Anruf des Hotels vom Vortag: Die Kamera war gefunden und sollte an meine Heimatadresse geschickt werden (was dann auch geschehen ist).

Jetzt konnten uns auch die wieder aufziehenden Regenwolken nicht die Laune verderben. Wir hatten noch 800 Höhenmeter und 15 km auf vorwiegend asphaltiertem Geläuf zu bewältigen. Zunächst blieb es trocken, aber 200 Höhenmeter unterhalb unseres Tagesziels öffnete der Himmel die Schleusen. Es goss wie aus Eimern, und so mussten wir nicht nur gegen die Steigung, sondern auch gegen die Strömung der Sturzbäche, die auf der Straße talwärts schossen, ankämpfen.

Komplett nass kamen wir in Valberg an und fanden auch gleich das Hotel Le Chalet Suisse, welches von außen einen passablen Eindruck machte. Diese Übernachtung war ja auch die teuerste der ganzen Tour.

Das Personal an der Rezeption war freundlich und versuchte die Sauerei, die wir mit unseren triefenden Klamotten anrichteten, zu ignorieren.

Die Zimmer waren ausreichend groß und sauber, jedenfalls bevor wir sie betraten. Duschen und Wäschewaschen war heute besonders wichtig. Bei Letzterem konnte ich feststellen, dass eine Socke durchaus in der Lage ist, den Überlauf eines Waschbeckens recht effizient abzudichten. Gemerkt habe ich das erst, als das Badezimmer unter Wasser stand…

Da die Hotelbar noch geschlossen hatte, besuchten wir die Bar gegenüber und tranken dort ein paar Radler, um uns für die anstehende Restaurant-Suche zu stärken.

Valberg ist ein Skiort, wie er typisch für Frankreich ist. Diese Orte bestehen meist aus rücksichtslos in die Bergwelt gebaute Wohnsilos mit ein paar Bars und Restaurants, die außerhalb der Saison meist geschlossen sind. Ob es am Wetter gelegen hat, dass das Ganze etwas schmuddelig wirkte, weiß ich nicht. Jedenfalls waren Gunthers Restaurant-Empfehlungen samt und sonders geschlossen und auch sonst war nichts Ansprechendes zu finden. Wir reservierten deshalb für den Abend einen Tisch im Restaurant unseres Hotels. Der abendliche Anruf zuhause musste diesmal vom Festnetz der Rezeption erfolgen, weil sämtliche Mobilfunknetze aufgrund des Starkregens schon seit Stunden ausgefallen waren. Auch ausreichend alte Zeitungen für die durchweichten Latschen ergatterten wir an der Rezeption.

Nach zwei Stunden Ruhepause standen wir pünktlich um 19:30 Uhr im Restaurant auf der Matte. Der uns zugewiesene Tisch entsprach zunächst unseren Erwartungen, als jedoch am Nebentisch eine Gruppe übergewichtiger Schaumschläger aus dem Rheinland einfiel, war es mit der Ruhe vorbei. Getoppt wurde der Radau, den die Motorrad-Maulhelden veranstalteten noch vom lästerlichen Qualm, der sich im Gastraum breitmachte, als Teile der Truppe mittels eines Raclette-Brenners Käse in Kohlenstoff und Gestank verwandelten. Das Brennen in den Augen war für mich schon schlimm, Käse-Allergiker Gunther hat es bestimmt noch mehr genossen. Das servierte Essen war dann bestenfalls unteres Mittelmaß und für das Gebotene maßlos überteuert. Ein paar verkochte Nudeln mit lausiger Fertig-Sauce müssen nicht fast 30 Euro kosten, auch nicht in einer Hütte, die den Namen „Schweiz“ im Namen führt. Der Wein war glücklicherweise ok, aber satt waren wir nicht. Deshalb stand Teil zwei der Suche nach Essbarem an, diesmal mit deutlich reduzierter Akzeptanzschwelle. Eine einfache Pizzeria wird ja wohl selbst in Valberg aufzuspüren zu sein. Um es kurz zu machen: Wir haben etwas gefunden, aber ich möchte nicht mehr darüber sprechen. Jedenfalls haben sich an diesem Abend alle unsere Vorurteile betreffend der Qualität französischer Gastronomie bestätigt. Den Frust wollten wir noch mit zwei Pastis an der Hotelbar hinunterspülen, der uns auf dem verdreckten Tresen serviert wurde, bevor wir uns um 22:45 Uhr in unsere Betten verkrochen.

 

7.9.2018, Fünfte Etappe, Valberg – Rimplas

52,1 km, 1631 hm bergauf, 2297 hm bergab

Um 8:00 Uhr war Wecken. Das Frühstück war ganz passabel, und draußen schien schon die Sonne, als wir um 9:00 Uhr zur fünften Etappe aufbrachen. Nach ein paar Kilometern bog unsere Strecke von der Straße ab und führte über verlassene Hohlwege und schöne Trials talwärts.

Unten angekommen trafen wir wieder auf die Straße, welcher wir durch eine beeindruckende Schlucht talauswärts folgten. Etliche Tunnel konnten wir auf der alten Straße umfahren und in der Schlucht war es auch angenehm kühl. Unten in Gorge du Cains bogen wir auf ein kleines Sträßchen, das uns hoch zum Col de la Sinne bringen sollte. Es war mittlerweile schon recht warm geworden und die umliegenden Berge hatten hier endgültig das Kiesgruben-Flair der ersten Tage verloren. Das Sträßchen wurde immer steiler und so kurbelten wir auf dem kleinen Kettenblatt, vorbei an malerischen Dörfchen zum Pass. Oben gönnten wir und ein kleines Päuschen und genossen das Bergpanorama der Seealpen. Zunächst dem kleinen Sträßchen weiter folgend rollten wir bergab, bis unsere Strecke auf einen etwas verblockten Trial mündete. Teilweise mussten wir hier schieben. Die Tatsache, dass sich Gunthers Sattelstütze trotz beträchtlichem Krafteinsatz nicht absenken lies, machte es zumindest für ihn nicht einfacher. Der kleine und teilweise zugewachsene Weg beschäftigte uns ein paar Stunden und führte uns über gelegentliche Anstiege, meist aber talwärts durch verfallene Dörfer und über eine schicke Hängebrücke zurück in die Zivilisation. Das war auch höchste Zeit, weil unsere Getränkevorräte mittlerweile aufgebraucht waren. In St Sauveur gönnten wir uns ein paar Orangina-Schorle in einer Bar an der Straße und füllten unsere Flaschen auf. Der letzte Anstieg des Tages versprach nochmal ziemlich anstrengend zu werden.

Die ersten 200 Höhenmeter fuhren wir recht entspannt auf der Straße, welche dann in eine sehr steile Beton-Piste und später in einen zugewachsenen Trial mündete. Die letzten 300 Höhenmeter bewältigten wir auf einem in den Fels gesprengten Schotterweg, auf dem kein Lüftchen wehte.

Das Hotel Randoneur liegt direkt am Ortseingang des pittoresken Dörfchens Rimplas. Wir kamen um circa 16:15 Uhr dort an, aber leider sollte die Rezeption erst um 17:00 Uhr öffnen und das Hotel war noch verschlossen. So nutzten wir die Zeit für einen Rundgang im idyllischen Örtchen mit engen Gässchen, vielen Brunnen und alten Häusern, aber leider ohne geöffnete Bar. Also fuhren wir zurück zum Hotel, wo wir unsere letzten Münzen zusammenkratzten und dem Getränkeautomat auf der Terrasse mit toller Aussicht zwei Dosen Apfelsaft entlockten.

Als kurz vor 17:00 Uhr ein nagelneuer Ferrari 458 und eine seltsame Geräusche von sich gebende BMW 1200RT vorfuhren, wussten wir, dass es sich hier nicht um eine Absteige handelte. Pünktlich um 17:00 Uhr öffnete die Rezeption und ein quirliger und sehr netter Mirelle Mathieu-Verschnitt händigte uns unsere Zimmerschlüssel aus. Glücklicherweise hatten wir zwei Einzelzimmer reserviert, denn das Hotel war ausgebucht und im Ort das einzige.

Die Zimmer waren zweckmäßig eingerichtet und sauber. Nach dem Duschen und Wäschewaschen trafen wir uns um 18:00 Uhr auf der Terrasse auf ein paar Radler. Vorher gönnte Gunther seiner festsitzenden Sattelstütze noch ein paar Tropfen Öl, in der Hoffnung, dieses würde über Nacht das festkorrodierte Stück lösen.

Auch heute waren an der Strecke keinerlei Hütten, weshalb wir schon mächtig Kohldampf hatten. Zum Glück rief Frau Mathieu schon um 19:00 Uhr zum Essen in den schmucken Gastraum. Die zur Vorspeise gereichte Quiche schmeckte Gunther so gut, dass er noch eine zweite erbettelte. Auch der Rest des Essens war sehr gut und der Service sehr freundlich. Ein komplettes Kontrastprogramm zum Vortag.

Die Terrasse wurde mittlerweile von tausenden kleiner weißen Schmetterlingen bevölkert, die wir auch schon tagsüber auf der Strecke bewundert hatten. Wir gesellten uns mit zwei Absacker-Pastis zu ihnen und der Kellner, der jetzt Feierabend hatte, erklärte uns, dass es sich dabei keineswegs um ein Zeichen intakter Fauna handelt, sondern ganz im Gegenteil um eine invasive Art aus Asien, die hierzulande keine Fressfeinde hat und große Schäden an der Flora anrichtet. Auch wollte er uns den Schlüssel zu seinem Catherham Super 7, der im Hof des Hotels stand, nicht für eine nächtliche Spritztour ausleihen, und so zogen wir uns um 23:00 Uhr zufrieden mit der bisher schönsten Etappe der Tour in unsere Gemächer zurück.

 

8.9.2018, Sechste Etappe, Rimplas – Sospel

79,7 km, 2618 hm bergauf, 3151 hm bergab

Pünktlich um 8:00 Uhr versammelten wir uns zum Frühstück, das recht üppig und gut war. Dass das Ei quasi roh war, als wir es aus dem Selbstbedienungs-Kocher nahmen, haben wir ja selbst verbockt, aber rohe Eier sollen ja mächtig Kraft geben. Das war auch ganz gut, denn heute stand eine knackige Etappe an. Deshalb ging es bei strahlendem Sonnenschein pünktlich um 9:00 Uhr los, obwohl sich Gunthers Sattelstütze immer noch nicht rührte.

Erst fuhren wir auf Asphalt bergan zum Col Saint Martin. Bislang war alles fahrbar, aber das sollte sich ändern, als wir auf dem Pass auf die Skipiste bogen. Diese war teilweise so steil, dass selbst Schieben eine Herausforderung war. Die Piste führte uns über den Col du Suc und den Col de Colmiane zur Bergstation des Skiliftes. Weiter ging es auf einem Singletrial hoch zum Col des Deux Caires. Oben angekommen wollte uns das Höhenprofil in unseren Navis suggerieren, dass es ab jetzt einfacher, weil flacher wird. So genossen wir die tolle Aussicht auf die Bergwelt und die alten Bunker bei einer kleinen Pause. Die vielen Fliegen in allen Formen, Größen und Farben motivierten uns aber bald zur Weiterfahrt… Fahren war allerding in diesem Fall nur recht selten möglich. Der Fernwanderweg GR5, der uns für die nächsten 3 Stunden und 800 Höhenmeter bergab beschäftigte, war derart verblockt, dass wir nur 30-40% davon fahren konnten. Endlich fanden wir auf unseren Navis einen Forstweg, der in eine ähnliche Richtung führte wie unsere GPS-Daten. So machten wir fahrend etwas Strecke. Die Freude währte aber nicht sehr lange und wir mussten den Schotterweg wieder verlassen. Der anschließende Singletrial war besser fahrbar.

Zeitlich waren wir schon ziemlich im Verzug und so waren wir froh, endlich auf eine Straße zu kommen. Aber warum war hier alles mit rotem Flatterband abgesperrt? Autorennen! Man sagte uns, in 45 Minuten könnten wir weiterfahren. Prima, das wird eng heute! Noch hatten wir den Col de Turini vor der Brust, und wir waren noch nicht einmal unten! So beschlossen wir, für den Aufstieg zum Col de Turini die Straße zu nehmen, um etwas Zeit zu sparen.

Die „Rennwagen“, die an uns vorbeikrochen, schienen es lange nicht so eilig zu haben wie wir. Nach 45 Minuten wurde die Strecke endlich für uns freigegeben. Nichts wie runter. In Lantosque stärkten wir uns in einer Bar. Gunther holte noch Essbares vom Bäcker nebenan. Schnell weiter war die Deviset. Der Einstieg zur Passstraße war rasch gefunden, aber die dort rumlungernden Streckenposten sollten nichts Gutes für uns bedeuten. Richtig, auch die Passstraße war wegen dem Autorennen gesperrt. Also blieb uns nur die zahn‘sche Offroad-Variante. Diese war zunächst sogar fahrbar, dann aber wurde der Single Trial so steil, dass wir gelegentlich schieben mussten. Die letzten 400 Höhenmeter waren dann auf einem Wirtschaftsweg gut fahrbar. Um 19:30 Uhr waren wir endlich oben. Gunther war schon mächtig dehydriert, weil wir unten unsere Radflaschen nicht gefüllt hatten. Oben haben wir deshalb erstmal vor einem Restaurant ein paar Orangina- Schorle getrunken. Während Gunther eine Gartenschlauch-Dusche nahm, habe ich kurz bei unserem Nachtquartier angerufen, um unsere verspätete Ankunft anzukündigen. Keine Ahnung, ob man mich da verstanden hat. Wir hatten noch 25 km zu fahren, zum Glück alles auf Asphalt und bergab. Die Straße vom Col de Turini hinunter nach Sospel führt durch ein wildes Tal, das wir in der Dämmerung noch einigermaßen erkennen konnten. Und wir konnten uns gut vorstellen, wie die Autos der Rallye Monte Carlo auf dieser legendären Straße in der „Nacht der langen Messer“ um die Ecken pfeifen.

Um 20:30 Uhr haben wir im letzten Tageslicht unser heute etwas seltsames Domizil erreicht. Wir hatten uns nämlich für die Nacht in einem Wohncontainer auf einem Campingplatz eingenistet, weil in Sospel kein Hotel mit zwei freien Einzelzimmern zu finden war. Der Wohncontainer machte einen einigermaßen sauberen Eindruck, und wir konnten hier auch mal unsere mitgeschleppten Hüttenschlafsäcke benutzen. Bettwäsche gab es nämlich genauso wenig wie Handtücher. Naja, einmal kann man sich ja auch mit einem Buff-Halstuch abtrocknen.

Die gewaschene Wäsche haben wir draußen auf unserer Terrasse aufgehängt, bevor wir zum Essen ins Restaurant des Campingplatzes gingen. Das übliche Erst-Nudeln-dann-Pizza-Menü war ok und zudem relativ preiswert. Rotwein und Bier wäre zwar heute zur Erlangung der notwendigen Bett-Schwere nicht notwendig gewesen, durfte aber trotzdem nicht fehlen. Um 23:15 Uhr fielen wir müde in unsere Hüttenschlafsäcke.

 

9.9.2018, Siebte Etappe, Sospel – Menton

49,9 km, 1367 hm bergauf, 1783 hm bergab

Um 8:00 Uhr erhoben wir uns leidlich erholt aus unseren Betten. Leider ist die Wäsche auf der Terrasse über Nacht kein bisschen getrocknet und war noch tropfnass. Wir mobilisierten sämtliche im Wohncontainer verfügbaren Wärmequellen und schafften es tatsächlich, in einer guten halben Stunde die Schuhe am 4-Flammen-Gasherd, die Hosen am E-Ofen und die Trikots in der Mikrowelle zu trocknen.

Frühstück wurde auf dem Campingplatz Le Mas Fleuri leider nicht angeboten. Mehr als ein paar Feigen vom Baum hinter unserem Wohncontainer waren nicht drin. Also fuhren wir in die Stadt und frühstückten dort in einem Café unsere Do-It-Yourself Baguettes, die wir aus Einkäufen vom Bäcker und Supermarkt nebenan selbst zusammenbauten.

Der Final-Tag einer Alpentour ist immer etwas Besonderes. Es ist eine seltsame Mischung aus Freude über das Geschaffte und das baldige Ende der Strapazen, aber andererseits auch etwas Melancholie, weil die Tour bald schon wieder vorbei ist. Deshalb haben wir beschlossen, heute noch ein paar Extra-Kilometer einzubauen. Anstatt direkt nach Menton zu Radeln, machten wir einen Schlenker über Ventimiglia. Hauptargument dafür waren die tollen Meeresfrüchte-Spagetti im Strandrestaurant, die wir vom letzten Jahr in guter Erinnerung hatten.

Die Auffahrt zum Col de Roulabre auf Schotter ist zwar recht steil, aber komplett fahrbar. Als wir ein Schild passierten, welches auf Ziegenherden und dazugehörige Hirtenhunde hinwies, beschlossen wir, für die nächsten Kilometer zusammen zu bleiben. Wir hofften, damit unsere statistischen Überlebenschancen zu verdoppeln, denn immerhin könnte sich einer von uns aus dem Staub machen, während der andere von den angekündigten Bestien dahingerafft wird.

Als wir um eine Ecke bogen, erblickten wir eine beachtliche Ziegenherde, die den Weg versperrte. Es dauerte nicht lange bis sich die Herde teilte wie das Rote Meer vor Moses, und wir erblickten die Bestie. Ich gebe zu, das Vieh machte einen recht entspannten Eindruck… jedenfalls entspannter als wir. Dass wir weit und breit keine Menschenseele erblickten, die sich eventuell für das Biest verantwortlich fühlen könnte, beruhigte auch nicht gerade.

Ob es der Beschützer-Instinkt war oder der an einen nassen Artgenossen erinnernde Gestank unserer Rucksäcke, der den Hund dazu veranlasste, uns ein paar hundert Meter zu begleiten, lässt sich nicht sagen. Wir versuchten jedenfalls, unsere geschundenen Haxen hinter unseren Fahrrädern zu verstecken, während wir langsam weiterschoben. Endlich erblickten wir hinter einer Kurve den zugehörigen Hirten, der sich in einem blankpolierten Pickup bei laufendem Motor (wegen der Klimaanlage) mit seinem Handy beschäftigte. Modernes Ziegenhüten eben.

Ohne lästige Begleitung setzten wir unseren Weg teilweise fahrend, teilweise schiebend über den Colla Bassa fort, wo wir die Grenze zu Italien passierten. Die Abfahrt auf italienischer Seite führte über einen recht breiten Weg, der aber durch den tiefen Schotter sowie den kindskopfgroßen Steinen streckenweise Schieben erforderte. Zudem angelten die Dornen ausladender Brombeerbüsche nach Fahrer und Reifen und es dauerte nicht lange, bis wir den ersten Plattfuß hatten. Diesmal hat es Gunthers Vorderrad erwischt. Während Gunther den Schlauch wechselte kamen wir wegen des fehlenden Fahrtwinds noch mehr ins Schwitzen, denn es war nicht nur sehr warm, sondern auch recht schwül.

Das letzte Stück des Weges war dann gut fahrbar und so kamen wir um 14:00 Uhr in Ventimiglia an. Wir düsten geradewegs zum Strand für ein Finisher-Bild und ein paar Radler. Der Gesichtsausdruck des Kellners verriet eine gewisse Ungläubigkeit, da ihm offenbar nicht bekannt war, wieviel Flüssigkeit in einen Menschen passt. Das hätte er eigentlich vom letzten Jahr noch wissen müssen. Wiedererkannt hat er uns nämlich, jedenfalls ist im aufgefallen, dass dieses Jahr einer fehlt.

Selbstverständlich ließen wir es uns auch nicht nehmen, kurz ins Meer zu hüpfen, bevor wir gerade noch rechtzeitig bevor der Koch Feierabend hatte die besagten Meeresfrüchte-Spaghetti bestellten. Auch dieses Jahr waren diese wieder sehr gut. Sicherlich die besten Nudeln der Tour.

Wir hielten es für eine gute Idee, von hier aus die Alles-Bestens-Anrufe zu erledigen, solange wir uns noch problemlos artikulieren konnten. Die vielen Radler in der prallen Sonne löschten nämlich nicht nur den Durst.

Die letzten Kilometer nach Menton bewältigten wir ziemlich unspektakulär auf der Straße entlang der Cote D’Azur. Im Hotel Menton, das wir noch vom letzten Jahr kannten, kamen wir um circa 17:00 Uhr an.

Wäschewaschen war heute nicht notwendig. Stattdessen haben wir die stinkenden Radklamotten aromadicht versiegelt und weggepackt. Nach dem Duschen trafen wir uns um 18:00 Uhr zur traditionellen Abschlussfeier. Wir wollten auch dieses Jahr wieder einen würdigen kulinarischen Abschluss zelebrieren, aber die vorgeschlagenen Restaurants auf Gunthers Zettel waren wieder allesamt geschlossen. Also haben wir den Online Guide-Michelin bemüht, welcher uns das Restaurant „Les Enfants Terrible“ empfahl. Zum Glück waren wir für französische Ausgehgewohnheiten recht früh unterwegs und konnten noch einen Tisch ergattern. Eine halbe Stunde später war der Schuppen voll.

Wir haben uns mit Austern, Teriyaki-Thunfisch, Fois Gras und Steak gut vollgefressen und alles mit recht gutem Rotwein runtergespült. Ein Nachtisch in fester Konsistenz passte deshalb nicht mehr rein. Flüssig funktionierte das ganz gut mit Kaffee und Calvados.

Tradition hat natürlich mittlerweile auch der Abschluss-Caipirinha (https://de.wikipedia.org/wiki/Caipirinha), den wir in einer Strandbar zu uns nahmen, bevor wir gegen Mitternacht ins Hotel zurückkehrten

 

10.9.2018, Rückreise

1435 km

Gunther hatte für die Rückreise bei Europcar ein geräumiges Auto reserviert. Die Europcar-Vertretung sollte erst um 8:30 Uhr öffnen, deshalb konnten wir etwas länger schlafen und uns von den Strapazen des Vorabends erholen. Das Frühstück im Hotel war ok, viel reingepasst hat aber nach der Orgie vom Vortag nicht. Pünktlich um 8:30 Uhr warteten wir vor dem Büro des Autovermieters auf das Erscheinen der Angestellten. Zum Glück war vor uns nur ein weiterer Kunde, denn die Fahrzeugübergabe gestaltete sich etwas kompliziert, da das Büro nur mit einer Person besetzt war, die den Papierkram und die Fahrzeugübergabe auf dem etwa 2 Kilometer entfernten Parkplatz bewältigen musste. Um 9:00 Uhr hatten wir endlich die Fahrräder verstaut und fuhren los Richtung Malaucène, wo wir Gunthers Auto abholen wollten. Wir kamen gut durch, und so blieb uns noch Zeit, in Malaucène ein paar Nudeln zu essen, nachdem wir uns von der Unversehrtheit Gunthers Boliden überzeugt hatten. Orange, wo wir den Mietwagen zurückgeben mussten, war nämlich nur eine halbe Stunde entfernt, und Europcar hatte noch Mittagspause bis 14:00 Uhr.

Fast pünktlich kamen wir mit dem vollgetankten Mietwagen in Orange an und in der Mietstation war nichts los. Etwas überrascht waren wir über den ersten Ausdruck des zu zahlenden Betrags. Wir haben es aber recht schnell geschafft, die Belegschaft davon zu überzeugen, dass die sich aus Mietdauer und angeblich zurückgelegten Kilometer errechnete Durchschnittsgeschwindigkeit von etwas mehr als 500 km/h mit dem von uns gemieteten Renault Megan Diesel auch unter idealen Verkehrsverhältnissen nur sehr schwer zu realisieren wären. Offenbar hatte man sich beim Ausfüllen des Übergabeprotokolls in Menton um gut 2000 km vertan. Wir einigten uns darauf, Google Maps zu bemühen, um die Distanz zu ermitteln, und freundlicherweise wählte die nette Dame dabei die Option „kürzeste Strecke“ aus.

Weiter ging es Richtung Heimat. Bei Gunther sind wir dank des überschaubaren Verkehrsaufkommens gegen 21:30 Uhr angekommen. Ich bin nach dem Umladen relativ schnell weitergefahren und habe beim Nachhause fahren die Gelegenheit genutzt, in einer Baustelle ein polizeiliches Abschlussfoto machen zu lassen. Noch vor Mitternacht bin ich in Overath angekommen.

 

Fazit

Die diesjährige Tour war wieder ein tolles Erlebnis. Einige der Etappen erschienen uns deutlich fordernder als die Zahlen vermuten lassen, was wir auf die teilweise recht ruppige Wegbeschaffenheit und den hohen Schiebeanteil zurückführen. Sehr gut gepasst hat auch der Fitness-Level. Wir waren beide gleich schnell, und so musste niemand auf den anderen warten.

Der befürchtete lukullische Super-GAU blieb weitgehend aus, allerdings muss man in Frankreichs Restaurants den einen oder anderen Euro drauflegen, um Genießbares zu bekommen.

Auffallend war, dass entlang der Strecke außerhalb der Ortschaften keinerlei Gastronomie zu finden ist. Berghütten, wie man sie in Italien, Deutschland oder Österreich findet, sucht man vergebens.

Andere Radfahrer oder Wanderer haben wir nur sehr wenige gesehen. Oft waren wir stundenlang unterwegs, ohne eine Menschenseele zu treffen.

Wettermäßig hatten wir großes Glück und wir waren froh, dass wir die Tour in den Spätsommer geschoben haben, weil es im August in den Seealpen sicher noch heißer ist. Wir haben auch so genug geschwitzt.

Ideen für das nächste Jahr sind schon in ausreichender Anzahl vorhanden…

 

Die nackten Zahlen

 

Verwendete Karten:

In letzter Minute hatten wir vor der Tour beschlossen, nicht den kompletten 1:25.000 Kartensatz mitzuschleppen. Stattdessen haben wir die Karten 8 bis 13 im Auto zurückgelassen uns stattdessen eine 1:100.000 Karte mitgenommen, welche das selbe Gebiet abdeckt.

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Höhenprofil

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gerd Wittmacher

 Stand: 21.10.2018