Transalp 2022

28.8.2022 – 4.9.2022

Lustenau (A) – Porlezza (I)

544 km, 14814 hm, 7 Etappen

 

Schon seit letztem Winter hatte Gunther diverse Streckenvorschläge für die diesjährige Transalp ausgearbeitet und wieder verworfen. Schlussendlich haben wir uns auf eine Stecke durch den Bregenzer Wald und das Silvretta-Massiv an den Luganer See geeinigt. Dieses Jahr konnte auch Seppl wieder dabei sein, und so gingen wir wieder zu dritt an den Start.

 

28. August 2022, Anreise und erste Etappe

Lustenau (A) – Schoppernau (A), 47,9 km, 1430 hm ↗, 983 hm ↘

Wie schon letztes Jahr wollten wir am Anreise-Tag noch eine kurze Halbetappe fahren. Wir wollten uns deshalb um 14:30 Uhr am Bahnhof in Lustenau treffen, weil wir dort kostenfreie Parkmöglichkeiten vermuteten. Gunther hatte unterwegs Seppl aufgegabelt und ist über die Bodensee-Autobahn gut nach Lustenau durchgekommen. Ich hatte mich für die A8 entschieden, was nicht so clever war. So waren die beiden schon um 14:00 Uhr am Parkplatz und haben mich angerufen, just als ich durch den Pfändertunnel gefahren bin. Erstaunlicherweise ist der nicht nur mautfrei befahrbar, sondern bietet neben Radio- auch Handy-Empfang. Da könnten sich die Deutschen Straßenbauer eine Scheibe abschneiden.

Kurz vor 14:30 Uhr habe ich es dann auch zum Treffpunkt geschafft. Das Wetter war klasse und die Räder fix zusammengebaut. Auch dieses Jahr habe ich lange gegrübelt, ob ich mit meine geliebten alten Rocky Mountain antreten soll, aber ich habe mich wieder für mein Cannondale entschieden.

Los ging es dann so gegen 15:00 Uhr, nachdem das obligatorische Gruppenbild im Kasten war. Erst mal war Einrollen bis Dornbirn entlang der Straße angesagt, dann bogen wir auf einen kleinen Feldweg ab und fuhren bei sonnigen 26°C höhengleich zum Eingang der Rappenloch-Schlucht. Hier begann der erste Anstieg, und zumindest ich empfand den als ziemlich heftig. Zwar war der Weg asphaltiert, aber recht steil, und so merkte ich jede der Tapas, die ich auf meiner zweiwöchentlichen Dienstreise nach Spanien direkt vor der Tour konsumiert hatte. Das kann lustig werden, dachte ich. Zum Glück ist das im Laufe der Tour besser geworden.

Leider war die Brücke über die Gunzenach, über die wir fahren wollten, wegen Bauarbeiten gesperrt. So mussten wir wieder ein paar von den mühsam erarbeiteten Höhenmeter zurückfahren und auf dem stark von Sonntagsausflüglern frequentierten Fußweg die Schlucht unterhalb des Staufensees überqueren. Vorbei an einem kleinen Wasserfall trafen wir auf der anderen Seite wieder auf Asphalt, später dann auf einen gut fahrbarem Schotterweg. Mit etwas gemäßigterer Steigung ging es weiter bergauf auf 1300 Meter. Von dort bot sich ein toller Blick auf die Berge des Bregenzer Walds. Der gröbste Anstieg war für heute geschafft. Es folgte eine Abfahrt auf Schotter und Asphalt auf etwa 650 Meter. Die GPS-Daten von Komoot passten nicht ganz so gut zum vorhandenen Wegenetz, und so sind wir in einer Sackgasse gelandet und mussten die Strecke on-the-Fly etwas umbauen. Eine passende Abfahrt nach Mellau haben wir aber schnell gefunden. Auf dem straßenbegleitenden Radweg und später entlang der Bregenzer Ach radelten wir leicht ansteigend nach Schnepfau und weiter nach Schoppernau, wo ich im Hotel Elisabeth Zimmer für die Übernachtung reserviert hatte.

Nachdem die Fahrräder verstaut waren gönnten wir uns erst mal ein paar Kaltgetränke von der Selbstbedienungs-Bar auf der sonnigen Hotel-Terrasse. Von dort bot sich ein toller Blick auf den Diedamskopf, dem Hausberg von Schoppernau. Fürs Abendessen folgten wir der Empfehlung des Hotelpersonals („do isch guad, do kocht die Mamma“) und haben einen Tisch in einem Restaurant in der Nähe reservieren lassen.

Wäsche waschen und Duschen stand aber zuerst auf dem Plan. Seppl und ich haben uns für die Nacht ein Doppelzimmer geteilt. Dieses war zwar recht schön, hatte aber leider keinen Balkon. Wir haben deshalb unsere Schuhe und Klamotten zum Trocknen und Auslüften auf dem Balkon eines scheinbar unbewohnten Nachbarzimmers deponiert, und es gab diesbezüglich auch keine Beschwerden.

Gegen 19:30 Uhr trafen wir uns vor dem Hotel und machten uns auf den kurzen Fußweg zum Restaurant.

Es war ein langer Tag und so passte einiges in unsere ausgehungerten Astral-Körper. Suppe, Spagetti, Schinkenplatte und Kaiserschmarrn spülten wir mit ein paar Bier und einem Fläschchen Lagrein runter. Ob es daran lag, dass wir auf dem Nachhauseweg den friedlich grasenden Hennes (der Geißbock, der dem FC Köln als zwölfter Mann helfen soll, Fußballspiele zu gewinnen) doppelt gesehen haben, wussten wir zu diesem Zeitpunkt nicht. Wir haben das Vieh deshalb fotografiert, damit wir das am nächsten Morgen überprüfen konnten.

Ein Schnäpschen von der Selbstbedienungsbar gönnten wir uns noch als Absacker. Dazu ließen wir uns aus Gunthers Handy die Machenschaften von Trienekens im Kölner Abfall-Skandal von Harald Schmidt erklären. Danach hatten wir die nötige Bettschwere und haben gut geschlafen.

 

29. August 2022, zweite Etappe

Schoppernau (A) – Brax (A), 59,2 km, 2672 hm ↗, 2781 hm ↘

Das Frühstück war gut, die Sonne schien und die Überprüfung des Fotomaterials vom Vorabend ergab, dass es tatsächlich zwei „Hennese“ gab.

Für die heutige Etappe hatte Gunther zwei Strecken ausgearbeitet. Angesichts des tollen Wetters beschlossen wir, die zwar etwas längere, dafür wahrscheinlich landschaftlich schönere Strecke zu fahren. Abfahrt war um 9:30 Uhr. Von etwa 800 Meter ging es hoch zur Biberacher Hütte, die auf etwa 1820 Meter liegt. Die Auffahrt war über Asphalt- und Schottersträßchen größtenteils fahrbar. Oben auf der Hütte gönnten wir uns eine Gulaschsuppe und einige alkoholfreie Kaltgetränke. Seppl hat als erster erkannt, dass wir hier 2015 schon einmal waren. Damals sind wir von der anderen Richtung gekommen. Wir konnten deshalb erahnen, dass das Folgende eher ein „Abstieg“ als eine „Abfahrt“ sein würde. 90 Minuten haben wir uns per pedes bergab gekämpft, nur gelegentlich konnten wir ein paar Meter fahren. Endlich sahen wir schon aus einiger Entfernung Autos parken, was wir in dieser Situation ausnahmsweise als gutes Zeichen deuteten. Wie erwartet fanden wir dort auch eine Fahrstraße vor, und noch besser, einen Selbstbedienungs-Kühlschrank mit gekühlten Getränken.

Die folgende Abfahrt nach Buchboden auf etwa 880 Meter machte nach der Schieberei doppelt Spaß, und auch die Auffahrt zur Alpe Laguz war auf Schotter fahrbar. Dort machten wir wieder ein Päuschen vor einer Hütte mit einem ziemlich grantigen Hüttenwirt, um uns mit Kaltgetränken für die Schiebepassage Richtung Lange Furka und dann hinunter zum Formarin-See zu stärken. Endlich, nach über 2 Stunden auf und ab schieben und tragen erspähten wir fahrbares Geläuf. Die Freude währte aber nur kurz. Die Fahrstraße endete kurz nach einer Alm und mündete in einen Weg namens „Stebock-Wäg“. Der Name lässt schon darauf schließen, dass hier mit Fahren nicht viel geht. Steinböcke sind schließlich nur äußerst selten auf dem Fahrrad anzutreffen. Also nochmal 90 Minuten Schieben bergab. Mittlerweile schmerzen schon unsere Füße. Radschuhe sind nun mal nicht für stundenlange Wanderungen gemacht. Auch war es schon recht spät, und so waren wir froh, in Mason auf einen asphaltierten Weg zu treffen, auf welchem wir die verbleibenden 2 km nach Dalaas bergab fuhren. Endlich, um 20:00 Uhr, kamen wir dort an.

Da unser Stammhotel in Dalaas, das Gasthaus Post, offenbar die Covid-Pandemie nicht überlebt hat, musste ich ein anderes Domizil finden. Keine der üblichen Buchungs-Plattformen im Internet ergab einen Treffer, nur auf Google Maps entdeckte ich ein Gasthaus. Dieses habe ich auch vor der Tour kontaktiert und zwei Zimmer für die Nacht gebucht.

Das gebuchte Gasthaus machte einen recht trostlosen und runtergekommenen Eindruck und auf dem Parkplatz stand kein einziges Auto. Am Eingang hing ein „Heute Ruhetag“-Schild und auf unser Klingeln an der Haustür kam keine Antwort. Zum Glück hatte ich die Buchungsunterlagen dabei, auf welchen sich eine Telefonnummer befand. Diese habe ich angerufen und in gebrochenem Deutsch wurde mir mitgeteilt, dass in ein paar Minuten jemand käme, um uns einzuchecken. Das war auch in der Tat so, nur sprach der Typ kein Deutsch und nur schlechtes Englisch. Zumindest konnte er uns aber mitteilen, dass es morgen kein Frühstück gäbe und außerdem sämtliche Restaurants in Dalaas geschlossen wären. Angesichts des Kohldampfs, den wir schoben, war Letzteres definitiv ein Deal-Breaker… Gunther hat sich deshalb modernster Telekommunikationstechnik bedient und in Windeseile eine andere Bleibe ausgemacht. Zwei Orte weiter in Brax checkte er gleich telefonisch im Sporthotel Traube ein, allerdings ohne nach dem Preis zu fragen. Also gaben wir die Zimmerschlüssel zurück und verabschiedeten uns.

Gerade noch bevor es dunkel wurde erreichten wir das Hotel Traube in Brax. Erleichtert stellten wir beim Einchecken fest, dass auch die Küche noch geöffnet war und wir sogar noch Zeit hatten, vor dem Essen zu duschen. Für die Sauna war allerdings keine Zeit mehr, aber zumindest ich konnte das sehr gut verschmerzen. Stattdessen ließen wir uns von der netten, aber etwas schusseligen Bedienung im authentischen Dirndl mit Suppe, Spagetti, Steak und Getränken kulinarisch verwöhnen. Das Essen war sehr gut. Um 23.00 Uhr verabschiedeten wir uns von Gunther, der sich in sein Einzelzimmer zurückzog. Bevor wir das Montagskino im Fernsehen genießen konnten, mussten Seppl und ich uns erst noch um eine Hornisse kümmern, die sich in unser Zimmer verirrt hatte.

Die Lektion, die wir an diesem Tag gelernt haben, lautet: Komoot taugt nicht zur Tourenplanung in den Bergen.

 

30. August 2022,, dritte Etappe

Brax (A) – Galtür (A), 60,8 km, 2703 hm ↗, 1784 hm ↘

Ich weiß bis heute nicht, wer der Mörder im Montagskrimi war, weil ich vor der Aufklärung des Falls eingeschlafen bin. Das Frühstück war standesgemäß und üppig. Ebenso wie die Summe, den Gunther beim Auschecken abgedrückt hat.

Zuerst hatten wir überlegt, den Kristbergsattel zu umfahren und auf Straße ins Silbertal zu fahren. Diese Idee haben wir aber schnell wieder verworfen. Um 9:30 Uhr holten wir unsere Räder aus dem Skikeller und machten uns bereit zur Abfahrt. Der hoteleigene Mechaniker öffnete eigens für uns seine Werkstatt und offerierte Kettenöl und Standpumpe. Echte Biker, ganz ohne Motor kämen nicht mehr so oft vorbei, meinte er.

Leicht bergauf fuhren wir auf der Landstraße 7 Kilometer zurück nach Dalaas. Dort rollten wir an unserer ursprünglich gebuchten Bleibe vorbei, die auch bei Sonnenschein genau so trostlos und tot aussah wie am Vorabend. Auch das „Heute Ruhetag“-Schild hing noch an der Tür. Offenbar war dort jeden Tag Ruhetag. Kurz danach bogen wir rechts auf den Fahrweg zum Kristbergsattel ab. Ein paar Mädels auf e-Bikes waren auch schon unterwegs und ließen uns bei der Auffahrt wenig Chancen. Nach etwa 900 Höhenmeter erreichten wir bei Postkarten-Wetter den Kristbergsattel, wo sich uns ein tolles Panorama und vor allem eine Einkehrmöglichkeit bot. Seppl gönnte sich den obligatorischen Kuchen. Als Gunther das dritte alkoholfreie Weizen bestellte, fragte die Bedienung besorgt, ob sein Glas ein Loch hätte. Nach Überprüfung konnte Gunther das aber verneinen.

Weiter ging es höhengleich auf einem breiten Schotterweg. Auf dem tollen Weg waren viele Wanderer und e-Biker unterwegs und genossen das schöne Wetter. Auf der Schotter-Abfahrt zum Hasa-Hüsli wurden es aber schon merklich weniger. Vom Hasa-Hüsli aus geht es rein ins Silbertal. Der Weg ist zunächst mordsmäßig steil, wird nach etwa dreihundert Meter aber flach und lässt sich ab da bis zur Oberen Freschalpe angenehm fahren. Ab dort ist erst mal eine Stunde Schieben durch verblocktes und matschiges Gelände angesagt. Besonders lästig ist die Tatsache, dass man sich dabei alle paar Meter die Pedale in die Hacken und Waden haut…

Langsam neigten sich unsere Wasservorräte dem Ende zu. Aufmerksam begutachteten wir jedes Bächlein, das von rechts und links aus den Bergen ins Tal floss, aber keines davon genügte unseren Ansprüchen. Endlich trafen wir auf einen Bach namens Rosanna. Dem GPS-Pfad folgend schoben wir zunächst auf der falschen Seite bergauf Richtung Silbertaler Winterjöchle. Auf der anderen Seite konnten wir den Fahrweg sehen, aber der Bach war zu breit, um durchzuwaten. Ich wusste, dass es weiter unten eine Brücke über den Bach gab, weil ich 2010 schon mal hier war. Deshalb beschlossen Gunther und ich, diese Brücke zu suchen. Wir haben diese auch recht schnell gefunden. Seppl stapfte weiter durchs Gestrüpp und überquerte den Bach etwas weiter oben.

Glücklicherweise gab es auf der anderen Bachseite nicht nur einen Fahrweg, sondern auch eine Quelle, die allem Anschein nach frei von Kuhscheiße und sonstigen Abwässern war. Gunther und ich stillten dort unseren Durst und füllten unsere Flaschen. Weiter ging’s Richtung Heilbronner Hütte auf dem breiten, streckenweise recht steilen Schotterweg, bis dieser an der Schönverwall-Hütte endete. Von dort führt ein Single-Trial weiter zur Hütte. Dieser war für uns teilweise zu steil zum Fahren. Zwei e-Biker haben es aber geschafft, was mich erstaunt und Seppl geärgert hat, weil die Jungs es nicht für nötig fanden, unseren Gruß zu erwidern.

Etwas weiter oben kam uns eine Gruppe von Jägern mit vier erlegten Murmeltieren entgegen. In einem kurzen Gespräch erläuterten sie, dass es viel zu viele davon gibt, dass die Kühe sich in den Löcher, die die Murmeltiere graben, die Haxen brechen und dass die Murmeltiere nicht leiden… aus 80 m Plattschuss in die Rübe. Außerdem erfuhren wir, dass das Fleisch wie Kalbfleisch schmeckt und wir bekamen das komplette Rezept erläutert, das ich aber mangels Kugelschreiber und Schreibblock nicht notiert und deshalb wieder vergessen habe.

Oben auf der Heilbronner Hütte haben wir die beiden e-Biker wiedergetroffen. Auf der Terrasse gönnten wir uns Spagetti und ein paar Getränke für astronomische 83 Euro. So konnten wir uns schon mal auf die Schweiz vorbereiten. Aber zumindest war hier das Essen ok und die Bedienung nett.

Langsam zogen dicke Wolken auf und es wurde auch recht schattig. Deshalb brachen wir zügig zur komplett fahrbaren Schotterabfahrt Richtung Galtür auf. Am Kops-Stausee hatten wir auf Asphalt noch ein paar Höhenmeter zu bewältigen. Ein Plattfuß, den sich Gunther eingefangen hat, verzögerte unsere Ankunft in Galtür nur wenig, und um 19:00 Uhr erreichten wir das Garni Verwall, wo ich uns für die Nacht zwei Zimmer reserviert hatte. Das Garni machte einen sympathischen Eindruck. Gunther hatte wieder ein Einzelzimmer, was natürlich vor allem beim Duschen und Klamotten waschen ein Vorteil ist. Im Flur trafen wir den Opa des Hauses, der uns mit einem Stamperl in der Hand Tipps für die kulinarische Abendgestaltung gab. Draußen donnerte es schon, als wir per Pedes zum Dorfplatz gingen. Das Abendessen, das wir dort in einem Restaurant kredenzt bekamen, war eher mittelmäßig, der Hauswein, angeblich ein Zweigelt, war allerdings unter aller Würde. Egal, die ziemlich lausig tätowierte Bedienung war aufmerksam und satt wurden wir auch. Als wir zurück zu unserem Garni schlappten, regnete es schon ziemlich. Die Vorhersage für den nächsten Tag war auch nicht besonders vielversprechend, und so machten wir uns schon so unsere Gedanken über die morgige Etappe.

Zurück im Zimmer versprach das DFB-Pokalspiel Teutonia Ottensen gegen RB Leipzig beim Spielstand von 0:4 zur Pause wenig Spannung. Deshalb beschlossen wir gegen 22:00 Uhr die Glotze auszuschalten und die Nachtruhe einzuläuten.

 

31. August 2022, vierte Etappe

Galtür (A) – S’charl (CH), 76,3 km, 2441 hm ↗ (davon 1285 mit der Seilbahn), 2504 hm ↘

Diese Nacht habe zum ersten Mal ich unter dem Schnarchen eines Zimmergenossen gelitten. Meine Ohrstöpsel haben das Problem aber schnell und effektiv gelöst. Das Frühstück war einfach, aber ausreichend. Der Blick aus dem Fenster war da schon weniger erfreulich. Dicke Wolken ließen befürchten, dass die apokalyptischen Vorhersagen der Wetterfrösche sich diesmal tatsächlich bewahrheiten könnten. Wir haben deshalb am Frühstückstisch nach einer Alternative gesucht, da uns die heutige Etappe auf über 2700m über NN führen sollte. Dort oben war von Schneeregen die Rede. Schweren Herzens haben wir uns für eine Aufstiegshilfe entschieden, die in unseren Augen sonst nur Show-Biker nutzen… die Seilbahn!

Abfahrt war um 09:30 Uhr. Gunther nutzte noch die öffentliche Luftpumpe am Dorfplatz, die wir am Vorabend erspäht hatten. Auf der Fahrt von Galtür nach Ischgl auf der Straße erahnten wir schon, wie kühl es wohl auf 2700 m sein würde. Aber zumindest war es noch trocken. In Ischgl haben wir uns Tickets für die Seilbahn besorgt, die uns von 1380 m auf über 2700 m bringen sollte. Dank der Silvretta-Gästekarte, die wir von unserem Garni bekommen haben, war das Ganze sogar recht erschwinglich. 15 Euro pro Fahrrad waren fällig, Personen waren umsonst. An der Mittelstation auf 2300 m mussten wir von der warmen Seilbahn in den kalten Sessellift umsteigen. Warm hielt uns aber die Sorge um unsere Fahrräder, die nur am Sattel baumelnd in schwindelerregender Höhe über die felsige Mondlandschaft schwebten… hatten wir die Sattelklemmen auf wirklich gut angezogen?

Es ging aber alles gut. Oben war es bei 5°C etwas schattig, aber nicht so kalt wie wir befürchteten. Es war wenig Betrieb, was angesichts des etwas garstigen Wetters nicht verwunderlich war. Trotz der nicht sehr fotogenen Landschaft haben wir oben noch ein paar Bilder geschossen, und zwei von uns dreien hatten danach auch das Handy wieder im Rucksack verstaut.

Vor der Abfahrt über Skipisten und Ziehwege haben wir sämtliche Klamotten, die wir im Rucksack für diese Bedingungen mitschleppten, angezogen. So war das gut auszuhalten, nur Seppl hatte keine langen Handschuhe dabei und klagte über kalte Flossen. Die mit Bagger und Dynamit für Skifahrer passend gemachte Berglandschaft ist in der schneelosen Zeit immer ein recht deprimierender Anblick, hier war es aber besonders erschütternd.

 In Samnaun angekommen wählten wir die wenig befahrene Autostraße, um weiter talwärts abzufahren. Unten angekommen bogen wir, noch zu dritt, rechts auf die Straße Richtung Scuol ab. Es war recht wenig Verkehr und so ging es flott voran. Als ich mich an der Grenze zur Schweiz umdrehte, stellte ich fest, dass Seppl und Gunther nicht wie vermutet hinter mir waren. Ich setzte mich an der Grenze auf ein Mäuerchen und nutzte die Wartezeit, um die dicken Klamotten loszuwerden. Als die beiden auch nach 20 Minuten nicht zu sehen waren, versuchte ich Seppl auf dem Handy zu erreichen… ohne Erfolg.

So beschloss ich, langsam nach Scuol weiterzufahren. Eventuell würden die beiden sich ja melden.

Der nette Radweg nach Scuol führt entlang dem hier noch recht mickrigen Inn, vorbei am Campingplatz in Sur-En, wo die Auffahrt zur Uina-Schlucht abzweigt. Für uns/mich ging es dieses Jahr aber weiter geradeaus Richtung Scuol. Für ein kurzes Stück war der Radweg wegen Baumfällarbeiten gesperrt und ich musste auf die Straße ausweichen. In Scuol angekommen radelte ich durch den Ort, in der Hoffnung, irgendwo die Räder von Gunther und Seppl zu erblicken. Dann wartete ich am Dorfplatz und versuchte nochmal, Seppl anzurufen… wieder keine Antwort. Auch auf eine Whats-App Nachricht kam keine Reaktion. Auf die Idee, es auch mal bei Gunther zu probieren, bin ich leider nicht gekommen.

Also machte ich mich an die Auffahrt nach S’charl. Nach etwa 100 Höhenmeter klingelte mein Telefon. Gunther war dran und berichtete, dass er und Seppl jetzt in Scuol wären und etwas essen wollten. Außerdem erzählte er, dass Seppl sein Handy nach dem Fotoshooting an der Bergstation der Filmjochbahn liegen gelassen hatte. Das ist wohl die Erklärung dafür, dass meine Anrufe und Whats-App unbeantwortet blieben. Außerdem erklärt das auch, wieso ich Seppl und Gunther verloren habe. Die beiden haben nämlich im Schatten einer etwas anzüglichen Sägewerk-Reklame nach dem vermissten Mobiltelefon gefahndet.

Ich hatte keinen Hunger und wollte außerdem nicht wieder nach Scuol abfahren. Wir haben deshalb ausgemacht, uns in S’charl zu treffen. Auf der kleinen Straße ging es weiter bergauf durch eine wilde Berglandschaft, über Murenabgänge und vorbei am Bergbaumuseum von S’charl. Dort bin ich gegen 15:00 Uhr angekommen und gleich zu unserer Bleibe für die Nacht, dem Casa Sesvenna gefahren. In dem netten Häuschen war aber niemand anzutreffen. Zwar hing an der Tür eine Telefonnummer, aber leider gab es hier keinen Handy-Empfang. Also fuhr ich zurück zum Dorfplatz, wo es vom nahegelegenen Restaurant kostenlosen WLAN Empfang gab. Unter der angegebenen Telefonnummer war aber niemand zu erreichen. Deshalb machte ich mich wieder auf zum Casa Sesvenna und setzte mich auf das Bänkchen vor dem Haus und wartete. Nach etwa 20 Minuten kam die Hausherrin angefahren. Ich habe gleich eingecheckt.

Das Casa Sesvenna ist ein geschmackvoll renoviertes altes Haus. Ich nutzte die Gunst der Stunde und duschte gleich, solange ich noch alleine im Doppelzimmer war. Auch zum Wäsche waschen war noch Zeit. Den Rest der Wartezeit vertrieb ich mir mit einem kleinen Fläschchen Rotwein, das die Hausherrin als Willkommensgruß ins Zimmer gestellt hatte.

Fürs Abendessen bot die Hausherrin an, im nahegelegenen Restaurant Major für 25 SFr pro Nase einen Tisch zu reservieren. Ich hielt dies für ein faires Angebot, angesichts der Preise, die normalerweise in der Schweiz aufgerufen werden. Später sollte sich das aber als Fehler erweisen.

Gegen 16:00 Uhr trafen Seppl und Gunther ein. Gunther bezog sein Einzelzimmer und wir gönnten uns erst mal zwei Bier auf der Bank vor dem Haus. Ein kleines Nickerchen vor dem Abendessen war auch noch drin, bevor wir uns um 19:30 Uhr auf den Weg zum Restaurant Major machten.

Das Restaurant machte einen recht adretten Eindruck. Das Essen war allerdings unter aller Würde. Die bestellten Rouladen waren übelschmeckende Brät-Klopse und die Beilagen waren auch nicht besser. Zudem war der Service pampig und unfreundlich. Wenigstens fand ich meine Vorurteile betreffend der Schweiz und der dortigen Gastronomie bestätigt. Die nette Hausherrin im Casa Sesvenna hatte dieses Weltbild nämlich schon etwas ins Wanken gebracht. Um 21:30 Uhr dackelten wir zurück zum Casa Sesvenna. Ich habe trotz dem lausigen Abendessen sehr gut geschlafen.

 

1. September 2022, fünfte Etappe

S’charl (CH) – Tirano (I), 106.4 km, 2386 hm ↗, 3743 hm ↘

Wegen der langen Etappe, die wir für diesen Tag vorgesehen hatten, trafen wir uns heute schon um 7:30 Uhr zum Frühstück. Das sehr nette Wirts-Ehepaar unterhielt uns während dem guten Frühstück mit Geschichten über die Geschichte des Bergbaus in der Region. Vor der Abfahrt machten wir noch ein Gruppenbild mit den Beiden vor dem Haus.

Die Wolken vom Vortag hatten sich verzogen. Gunther hatte die frühe Bettruhe am Vorabend dazu genutzt, das letzte Drittel der Strecke etwas zu entschärfen, nachdem wir bei der zweiten und dritten Etappe Mühe hatten, das Etappenziel bei Tageslicht zu erreichen.

Die Forststraße zum Passo de Costainas endet bei einer Alm und weiter zum Pass geht es auf einem gut fahrbaren Single Trial. Oben auf dem Pass trafen wir auf etliche Biker.

Die Abfahrt ins Val Müstair ist zwar sehr steil, aber gut fahrbar, genauso wie die Auffahrt durch das Aval Vau auf einer geschotterten Forststraße. Dort trafen wir zwei e-Biker aus Augsburg, die ebenfalls die Alpen überquerten. Unsere Antworten im Gespräch während der Auffahrt fielen allerdings ob der Steigung recht kurzatmig aus.

Einigen Respekt zollten wir hingegen dem Mädel, das den steilen Weg mit kompletter Campingausrüstung auf einem Gravel-Bike hochdrückte. Die anschließende Singletrial-Fahrt durch das Val Mora war für mich eins der Highlights der Tour. Das Tal ist landschaftlich sehr schön und fahrtechnisch gut fahrbar, ohne langweilig zu sein.

Unten angekommen folgten wir der flachen Schotterstraße entlang des Lago di Fraele, dem man den trockenen Sommer am niedrigen Wasserstand deutlich ansah.

Günther fühlte sich nicht gut. Ob das am Abendessen vom Vortag oder am Trinkwasser aus dem Bach lag lies, sich nicht mehr herausfinden. Etwas zu Essen hielten wir für eine gute Idee, zumal wir die Schweiz mittlerweile hinter uns gelassen hatten und uns auf italienischem Boden befanden. Die Nudeln und die Minestrone in dem recht einfachen Etablissement waren gut und günstig. Seppl versuchte noch vergeblich mit meinem Handy den Versand seines Mobiltelefons an seine Heimatadresse zu organisieren, gab dann aber auf und delegierte diese heikle Aufgabe an die Homebase.

Weiter ging es entlang des Sees bis zur Serpentinenstraße, die hinunter nach Borneo führt. Die Straße sind wir 2004 schon einmal gefahren. Damals konnte man sich noch prima in dem tiefen Schotter-Sand-Gemisch in den Serpentinen auf die Nuss legen. Mittlerweile ist die Straße aber asphaltiert.

Weil das langweilig ist, sind wir an der zweiten Kehre auf einen kleinen Wanderweg abgebogen. Dieser führte zunächst mit gemäßigter Steigung, dann steiler werdend zum Passo di Verva auf 2300 Meter. Die Auffahrt war komplett fahrbar. Die Abfahrt auf dem Forstweg nach Grosio war ebenfalls sehr steil, aber auch hier mussten wir nicht schieben. Die restliche Abfahrt ins Tal erledigten wir auf einem kleinen Asphaltsträßchen, von wo wir auf dem Radweg entlang der Fiume Adda die restlichen Kilometer nach Tirano rollten.

Seppl äußerte den Wunsch nach einem Einzelzimmer, um mal richtig pennen zu können. Auch Gunther wollte aufgrund seines noch immer lausigen Befindens und der erwarteten Frequenz nächtlicher Toilettenbesuche nicht auf sein Einzelzimmer verzichten. Unser Albergo hatte aber nur das gebuchte Arrangement von einem Doppelzimmer und einem Einzelzimmer frei. Der nette Wirt bot uns an, ein zusätzliches Zimmer für Seppl in einem Hotel nebenan zu organisieren. Da er das ohne Aufpreis machen wollte, nahmen wir das Angebot natürlich an. Die bürokratische Abwicklung dieser Aktion mit der Buchungsplattform zog sich nach der Tour noch ein paar Wochen hin, hat dann aber schlussendlich geklappt.

Duschen und Wäsche waschen ist natürlich im Einzelzimmer deutlich angenehmer. Wir hatten uns vor unserem Hotel verabredet, um nach einem geeigneten Restaurant fürs Abendessen zu suchen. Bei einem Bierchen auf der Terrasse suchten wir auf dem Mobiltelefon eine Pizzeria in der Nähe, die unseren Ansprüchen genügte. Zwar blitzte und donnerte es schon, aber das hielt uns nicht von einem Fußmarsch zur Pizzeria Belvedere ab. Diese war gute 20 Geh-Minuten entfernt, versprach aber durch die positiven Rezensionen im Internet gutes Essen und stimmungsvolles Ambiente.

Der Fußmarsch dorthin hat sich dann auch gelohnt. Im Belvedere sitzt man sehr schön auf der Terrasse vor einem toll angestrahlten alten Kirchturm. Einzig der starke Verkehr der nahegelegenen Straße stört etwas. Dafür war das Essen prima. Auf dem Heimweg gönnten sich Gunther und Seppl noch ein Eis auf die Hand. Gunthers Magenverstimmung machte gerade Pause. Um etwa 23:00 Uhr verkrochen wir uns in unsere Betten und genossen die Nachtruhe in unseren Einzelzimmern.

 

2. September 2022, sechste Etappe

Tirano (I) – Olmo Al Brembo (I), 103.9 km, 2271 hm ↗, 2074 hm ↘

Gunther hat die Nacht in der Keramik-Abteilung verbracht und sah aus, als wäre er vom Bus überfahren worden. Wie vereinbart kam Seppl zum Frühstück in unser Hotel. Das Frühstück war typisch italienisch, recht bescheiden und übersichtlich. Entgegen der Vorhersage war es draußen zwar bewölkt, aber trocken.

Gunther kündigte schon bei der Abfahrt um 9:00 Uhr an, dass er uns aufgrund seines Befindens zeitnah verlassen und sich in den nächsten beiden Tagen auf Straße und Radweg nach Porlezza durchschlagen wollte.

Zunächst suchten wir den lausig ausgeschilderten Sentiero Valtellina, den Radweg entlang der Adda Flusses. Schließlich glaubten wir diesen gefunden zu haben, aber der Weg verlor sich schnell im Nichts. Ein paar Kilometer fuhren wir auf der stark befahrenen Bundesstraße, aber der heftige LKW-Verkehr war uns auf die Dauer zu gefährlich. In Chiuro verabschiedeten wir uns von Gunther. Gunther wollte auf der Straße nach Menaggio fahren und am nächsten Tag von dort nach Porlezza am Luganer See.

Seppl und ich suchten den Radweg, den wir auch schnell fanden. Das Wetter wurde zusehends besser, zwischendurch erblickten wir sogar die Sonne. Die Beschilderung des Radwegs blieb allerdings sehr dürftig. Aus einem asphaltierten Weg wurde ein Schotterweg, dann ein Trampelpfad und schließlich standen wir mitten auf einer Wiese. Um uns einen Überblick zu verschaffen, kraxelten wir auf den Hochwasser-Schutz-Deich, und siehe da, von dort oben war tatsächlich ein Weg zu erblicken. Auf diesem sind wir weiter nach Talamona gefahren, wo wir einen Supermarkt aufsuchten, um uns mit Speis und Trank einzudecken. Das bescheidene Frühstück erschien uns als nicht ausreichend, uns die nächsten 1650 Höhenmeter auf den Passo San Marco zu bringen.

Bei mittlerweile tollem Sommerwetter verzehrten wir unsere Errungenschaften auf einem Bänkchen in einem Park in Morbend, bevor wir den ersten Teil des Passes auf dem kleinen Passsträßchen in Angriff nahmen.

Nach 800 Höhenmeter sah ich erfreut am Straßenrand vor einem Restaurant Seppls Fahrrad stehen… Halbzeitpause…

Auch die weitere Auffahrt auf dem Passsträßchen war recht anstrengend, allerdings wurde es merklich kühler und auch die Sonne verzog sich zunehmend hinter dicken Wolken. Die Passstraße wurde von vielen Motorradfahren frequentiert. Das ist recht nervig, wenn die Mopeds durch zweifelhafte Tuning-Maßnahmen an der Abgasanlage einen infernalischen Radau in die Bergwelt brüllen. Wieso das manche Leute cool finden, wird sich mir wohl nie erschließen.

Nach nochmal 850 Höhenmeter erreichten wir die Passhöhe vom Passo San Marco. Seppl bat eine Familie, ein Gipfelbild von uns vor dem Schild auf der Passhöhe zu machen. Das freundliche Familienoberhaupt erledigte das und fragte uns danach, ob wir ein Glas hätten. Erst verstanden wir nicht, was er von uns wollte, aber er erklärte uns, er hätte einen guten Grappa im Auto… und er wollte wohl nicht, dass wir diesen aus der Flasche tranken.

Schnell funktionierten wir die Deckel unserer Trinkflaschen in ein Schnapsstamperl um. Der Grappa war auch sehr gut, wärmte von innen und enthemmte etwas für die folgende Abfahrt. Zudem gab es noch Tipps für die kulinarische Abendgestaltung in unserem Zielort Olmo di Brembo.

Von der Passhöhe mussten wir dahin nur noch abfahren. Einen Zwischenstopp genehmigten wir uns noch am nahegelegenen Rifugio etwas weiter unten. Dort war leider die Küche geschlossen, deshalb mussten wir uns mit Kuchen und Getränken zufriedengeben.

Auf der anschließenden Straßenabfahrt wurde es mit jedem Meter wärmer. In Olmo di Brembo hatte ich mangels Alternative ein ganzes Ferienhaus reserviert. Das wäre für uns drei schon üppig gewesen, zu zweit war’s purer Luxus.

Während Seppl im nahegelegenen Albergo Della Salute, der Empfehlung vom Grappa-Spender, für den Abend einen Tisch reservierte, beschäftigte ich mich mit dem Schlüsselsafe vor unserem Ferienhaus. Dank der per eMail vom Vermieter bereitgestellten Video-Anleitung war das kein Problem. Unsere Bleibe war ein toll renoviertes altes Haus mit drei Schlafzimmern und dazugehörigen Luxus-Bädern. Duschen und Wäsche waschen machte hier richtig Spaß.

Um 19:00 Uhr machten wir uns auf zum Essen fassen. Im Albergo Della Salute waren wir noch die einzigen Gäste. Der etwas skurrile Kellner erkannte Seppl gleich wieder und wies uns unseren Platz zu. Speisekarte gab es keine, und wirklich verstanden haben wir den Kellner beim Aufzählen der verfügbaren Speisen auch nicht. Deshalb haben wir einfach anrollen lassen, was der Kellner für richtig hielt. Schon die Vorspeise war klasse. Langsam füllte sich das Lokal mit offenbar einheimischen Gästen, die augenscheinlich die gleiche Strategie beim Bestellen verfolgten. Es gab selbstgesammelte Pilze, Fleisch und allerlei lokale Köstlichkeiten. Zum Abschluss bestellten wir noch einen Grappa. Der Kellner stellte uns gleich die ganze Flasche auf den Tisch. Das Zeug war allerdings schauderhaft und eignete sich sicher besser zum Möbel abbeizen als zum Trinken. Zum Runterspülen bestellten wir deshalb noch ein Bier und einen Ramazotti.

Beim Verabschieden vom Wirt, der sich als Bruder des Kellners herausstellte, beschrieb Seppl den Kellner als sympathische Mischung zwischen dem Buttler von „Dinner for One“ und Samuel L. Jackson in „Django Unchained“. Das sorgte für Lacher beim Wirt und Kellner.

Gut gesättigt wackelten wir zurück in unser Ferienhaus.

 

3. September 2022, siebte Etappe

Olmo Al Brembo (I) – Porlezza (I), 72.3 km, 1840 hm ↗, 2106 hm ↘

Wir haben beide gut geschlafen. Frühstück gab es in unserem Ferienhaus natürlich nicht. Wir haben uns deshalb ein leckeres Panini im Tante-Emma-Laden gegenüber machen lassen. Auf dem Balkon über dem Laden winkte uns der Kellner vom Vorabend freundlich zu und kam sogar extra noch runter, um sich von uns persönlich zu Verabschieden. Irgendwie fühlten wir uns in dem sympathischen Kaff schon fast zuhause.

In der kleinen Bar gegenüber fragten wir, ob wir unser Panini dort verzehren dürften und dazu einen Kaffee bekommen könnten. Das war kein Problem. Die Bar war schon gut gefüllt, und wie schon am Vorabend im Restaurant fiel uns auf, dass in der Region noch viele Menschen Gesichtsmasken trugen. Das lag wohl daran, dass es die Provinz Bergamo, wo wir uns gerade befanden, 2020 beim Ausbruch der Covid-Pandemie übel erwischt hat. Die schlimmen Bilder von Bergamo gingen ja auch durch das deutsche Fernsehen.

Wie dem auch sei, wir beobachteten die Eingeborenen und genossen das bisher originellste Frühstück der Tour, bevor wir gegen 8:00 bei Nieselregen losfuhren. Die ersten 1100 Höhenmeter bergauf strampelten wir zunächst auf Straße, dann auf einem Wirtschaftsweg. Der Regen wurde stärker und wir zogen unsere Regenklamotten an. Durch ein etwas heruntergekommenes Skigebiet im 80er Jahre Stil ging es weiter bergauf auf dem Forstweg. Dort waren viele Pilz-Sucher unterwegs, was in der Region eine Art Volkssport zu sein scheint.

Die Abfahrt verlief erst extrem steil auf einer Skipiste, dann auf einem Single Trial und schließlich auf einem Forstweg. Die letzten 300 Höhenmeter wurde es dann etwas flacher und schließlich kamen wir auf eine Straße, kurz bevor die an der Belastungsgrenze operierenden Bremsen gänzlich den Geist aufgaben.

Der Regen hatte mittlerweile aufgehört. Von der Straße bogen wir auf einen Singletrial, der sich etwa 200 Meter über dem Comer See entlang der Uferline schlängelte und eine tolle Aussicht auf den See bot. Nach ein paar Kilometern auf diesem Trial hatten wir aber genug von der Rüttelei und dem ständigen auf und ab und beschlossen zum See abzufahren und die restliche Strecke nach Varenna auf der Uferstraße zu fahren.

Pünktlich zur geplanten Mini-Kreuzfahrt über den Comer See schien auch wieder die Sonne. Vor dem Ticketschalter für die Schifffahrt von Varenna nach Menaggio war eine lange Schlange. Offenbar war die Schlange am Schalter für die Fahrt nach Bellagio kürzer. Jedenfalls kam Seppl mit Tickets dorthin zurück. Kurze Rücksprache mit dem Bording-Personal ergab aber, dass das kein Problem ist… Hauptsache Ticket. Sympathisch, diese Italiener.

In Menaggio angekommen gönnten wir uns nahe der Uferpromenade Kaffee, Kuchen und ein Radler, bevor wir die letzten 200 Höhenmeter der Tour in Angriff nahmen.

Der Radweg über den Bergrücken zwischen dem Comer und Luganer See verläuft über eine alte Bahntrasse und demzufolge mit sehr moderater Steigung. Auch die Abfahrt nach Porlezza verlief auf dieser Trasse. Das Hotel Europa liegt direkt am See. Nach Ankunft haben wir gleich Gunther angerufen, der schon dort eingecheckt hatte.

Gunther ging es besser, aber völlig wiederhergestellt war er noch nicht. Mehr noch als die körperlichen Leiden schien in aber zu fuchsen, dass er die letzten beiden Tage abkürzen musste.

An der Strandbar vor dem Hotel verleibten wir uns ein paar Kaltgetränke ein, bevor wir eincheckten, duschten und zum letzten Mal auf der Tour Klamotten wuschen, damit wir am nächsten Tag im Zug die anderen Fahrgäste nicht allzu sehr belästigten. Um 19:00 Uhr hatten wir uns zum Abendessen verabredet. Das Abschlussessen in einem kleinen Restaurant in der Stadt war sehr gut… aber es war halt nicht der Surfers Grill in Torbole. Ein Eis gab es noch auf die Hand, auf den traditionellen Caipirinha (https://en.wikipedia.org/wiki/Caipirinha) mussten wir dieses Jahr aber leider verzichten. Um 22:30 waren wir zurück im Hotel.

 

4. September 2022, Rückreise

Porlezza (I) – Lugano (CH) – Lustenau (A)

Um 8:00 Uhr trafen wir uns in der Lobby des Hotels Europa. Besonders gut geschlafen habe ich leider nicht. Das Frühstück im Hotel war uns zu teuer, deshalb haben wir unsere Räder aus der Garage geholt und sind zum Frühstücken zu einer Bäckerei am Seeufer gefahren. Das Wetter war super und das Frühstück mit Seeblick im bestuhlten Außenbereich der Bäckerei was sicher besser als das, was das Hotel uns hätte bieten können.

Wir hatten noch etwa 16 Kilometer auf der Uferstraße nach Lugano vor uns, von wo wir um 11:00 Uhr mit dem Zug über Zürich zurück nach Lustenau fahren wollten. Also beeilten wir uns und fuhren um 8:45 Uhr los.

Auf der pittoresken alten Uferstraße (die Neue führt auf italienischer Seite meist untertage) radelten wir zur schweizer Grenze und von dort nach Lugano. Der letzte Anstieg hoch zum Bahnhof war nochmal kurz, aber recht steil.

Gunther hatte von zuhause Zugtickets gebucht und Fahrradplätze reserviert. Das war wohl nicht so einfach und schon gar nicht billig. 85 Euro pro Nase und Fahrrad waren für die knapp 250 Kilometer Bahnfahrt fällig.

Fahrradplätze waren Mangelware im Intercity nach Zürich. Gunthers Platz war in einem anderen Wagon als unsere, und seinen Fahrradplatz hatte die SBB gleich 4 Mal verkauft. Das bot Gunther die Gelegenheit für eine Nationenstudie über den Umgang mit Problemen, da es sich bei den Konkurrenten um den Platz um einen Schweizer, einen Italiener und einen Deutschen handelte. Schlussendlich hat man sich aber wohl arrangiert.

Obwohl der Zug angeblich ein Intercity war, schaukelte das Ding wie die Schmalspurbahn nach Pusemuckel. In Zürich sind wir in den Eurocity nach Sankt Margarethen umgestiegen.

Von Sankt Margarethen sind es nur ein zwei Kilometer über die Grenze und nach Lustenau, wo unsere Autos bei strahlendem Sonnenschein unversehrt auf dem Park & Ride Parkplatz standen.

Gunther gönnte sich noch eine Dusche aus der Wasserflasche, bevor wir uns verabschiedeten. Beim ersten McDonalds nach der deutschen Grenze lud ich über das kostenlose WLAN mein Handyguthaben auf, damit ich mich zuhause melden konnte. Ein Besuch bei meinen Eltern war auch noch drin, und so konnte ich die Heimfahrt nach Köln gemütlich auf zwei Tage verteilen.

 

Fazit:

Gunther war mit der Strecke nicht ganz zufrieden. Ich hingegen fand sie recht interessant. Gelernt haben wir, dass Komoot in den Bergen nicht die erste Wahl für die Streckenplanung ist. Aber Schiebepassagen lassen sich auf eine Alpenüberquerung natürlich nie ganz vermeiden.

Gut gefallen hat uns, dass wir endlich wieder grüne Wiesen und Wälder sahen. Zuhause war wegen dem trockenen Sommer alles verbrannt und braun.

Nicht schön war natürlich, dass Gunther zwei Tage wegen Magenproblemen zurückstecken musste. Und schließlich ist die Ankunft am Gardasee nicht zu toppen. Aber alles in allem war es wieder eine tolle Tour.

 

Die nackten Zahlen

 

 

Das Höhenprofil

Übersichtskarte

 

  

 

Gerd Wittmacher, Ferrenberg 8, 51491 Overath