Transprovence 2018
3.9. – 9.9.2018
Malaucene (F) – Menton (F)
499 km, 14168 hm, 7 Etappen
Yep, wir haben uns auch dieses Jahr wieder aufgerafft. Seppl konnte dieses Mal
leider aus beruflichen und privaten Gründen nicht mitfahren. Schade, so blieben
nur Gunther und ich.
Die Vorbereitungsphase war dieses Jahr recht lang, weil wir die Tour aus
verschiedenen Gründen auf Anfang September terminiert haben. Trotzdem haben wir
beide unsere selbstgesetzten Gewichtsziele nicht ganz erreicht.
Nicht so schlimm, denn die Tour sollte fast vollständig auf französischem Boden
verlaufen, und Frankreich hatten wir bei beruflichen und privaten Reisen als
kulinarisches Notstandsgebiet kennengelernt. Da könnte sich die eine oder andere
kleine Fettreserve als nützlich erweisen.
Wir hatten uns für dieses Jahr die TransProvence-Tour ausgesucht, die Achim Zahn
auf seiner Homepage als geführte Tour anbietet. Da wir aber für „betreutes
Radeln“ zu jung sind, wollten wir auf eigene Faust losziehen. Leider ist Zahns
Tourenbeschreibung aus offensichtlich betriebswirtschaftlichen Gründen sehr
dürftig, deshalb haben wir die sauteuren GPS-Daten vom Meister erstanden.
Außerdem haben wir, weil die Strecke durch recht abgelegenes Terrain führt,
einen kompletten Satz 1:25.000 Karten erstanden. Diese waren zwar recht schwer
zu beschaffen, aber online hat es dann doch geklappt. Etwas schockiert waren wir
allerdings schon, als die Waage knappe 1,5 kg für die 13 Karten anzeigte.
2.9.2018, Anreise
Um circa 7:15 Uhr bin ich in Overath aufgebrochen und nach etwas weniger als
zwei Stunden bei Gunther im Herzen Rheinhessens angekommen. Die Familie saß beim
Frühstück und die Tochter des Hauses war noch etwas derangiert. Nach der
obligatorischen Abschieds-Zeremonie inklusive Proviantübergabe konnte es dann
pünktlich zum angestrebten Zeitpunkt losgehen.
Der Verkehr auf den Straßen war überschaubar und so sind wir bei tollem Wetter
gut nach Malaucène durchgekommen. Schon bei der Anfahrt konnten wir den Mont
Ventoux erblicken, den legendären Tour-de-France Berg und die erste Bergwertung
unserer Tour.
Wir hatten sämtliche Übernachtungen vorgebucht, weil es einfach entspannter ist,
wenn man abends nicht mehr nach einer Bleibe für die Nacht suchen muss,
besonders, wenn man sich in einer Gegend rumtreibt, wo diese recht dünn gesät
sind. In Malaucène hatten wir uns im Hotel Le Blueberry angemeldet. Das Hotel
machte von außen und innen einen recht akzeptablen Eindruck und befand sich
ziemlich Zentral in dem Örtchen, was die abendliche Suche nach Essbarem
erleichtern sollte. Zunächst aber wollte das Auto versorgt werden. Ein legaler
und sicher erscheinender Langzeitparkplatz war bei der örtlichen Post in
akzeptabler Entfernung schnell gefunden.
Die Empfehlung von Trip Advisor betreffend des Etablissements für das abendliche
Mahl konnte allerdings unseren Ansprüchen nicht genügen. Wir haben uns deshalb
auf unser eigenes Urteilsvermögen verlassen. Die Pizzeria nebenan erschien uns
angemessen. Die Menü-Folge „erst Nudeln, dann Pizza“ sollte sich in den nächsten
Tagen noch einige Male wiederholen. Für die roten Blutkörperchen gönnten wir uns
noch zwei Fläschchen Rotwein, was sich in der Nacht und am folgenden Morgen als
eine zu viel erweisen sollte. Alles in Allem waren wir aber mit dem Gebotenen
zufrieden, zumindest blieb das erwartete lukullische Desaster aus.
Weinselig und schweren Herzens entschlossen wir uns beim Abendessen für die
abgespeckte Kartenvariante, indem wir die Karten für die letzten Tourtage durch
eine Karte im Maßstab 1:100.000 ersetzten. Dadurch konnten wir satte 5 Karten
einsparen und das Gewicht unserer Rucksäcke um zusammen fast 800 g reduzieren.
Gegen 22:30 Uhr verkrochen wir uns dann in unsere ganz akzeptablen Einzelzimmer.
3.9.2018, Erste Etappe, Malaucèn – Sisteron
111,8 km, 2684 hm bergauf, 2511 hm bergab
Um 7:15 Uhr trafen wir uns zum Frühstück, welches für französische Verhältnisse
ganz gut war. Es gab jedenfalls nicht nur ein trockenes Croissant und einen
Eimer Kaffee.
Draußen
schien die Sonne und die Wettervorhersage für die nächsten Tage war sehr
positiv. Zu Fuß schlappten wir zum Auto, wo noch ein paar wichtige und
potentiell folgenschwere Entscheidungen betreffend der mitzuführenden Ausrüstung
zu treffen waren: Sollte der Transponder für den Autoschlüssel aus
Gewichtsgründen sicher in geeigneter Abschirmung verpackt im Auto bleiben?
Sollten wir jeweils nur einen oder doch besser zwei Reserve-Schläuche mitnehmen?
Fatalerweise entschied ich mich bei dieser Frage für die gewichtsoptimierte
Variante, was ich noch am selben Tag bereuen sollte.
Um 9:00 Uhr, nach dem obligatorischen Start-Selfie, erschallte dann endlich das
lang ersehnte Klicken der Clickpedale, quasi als symbolischer Startschuss zu dem
Event, auf den wir einige Monate hingearbeitet hatten.
Am Ortsausgang besorgte Gunther noch kurz eine Batterie für seinen
stromfressenden Radcomputer, dann rollten wir bei strahlendem Sonnenschein auf
einer Landstraße Richtung Mont Ventoux. Mit jedem Kilometer verdichtete sich das
Rennradler-Aufkommen. Nach ein paar Kilometern bogen wir auf einen anfangs gut
fahrbaren, später recht grobschottrigen Weg ab. Auch wenn das Hinterrad
gelegentlich um ausreichen Traktion rang konnten wir die erste Schiebepassage
noch vermeiden. Circa 400 Höhenmeter unterhalb des Gipfels mündete der Weg in
einer Kehre wieder auf die Straße, auf welcher wir leidlich erfolgreich
versuchten, uns nicht allzu oft von Rennradlern überholen zu lassen. Einige
kommerzielle Sportfotographen wollten unsere Bergankunft im Bild festhalten,
deshalb bemühten wir uns um ein nicht allzu abgekämpftes Erscheinungsbild.
Oben
angekommen füllten wir unsere Radflaschen auf, machten ein paar Fotos und
flüchteten schnellstmöglich vor dem Rummel auf dem eigentlich recht hässlichen
Berg. Dabei schossen wir an dem Abzweig vorbei, auf dem wir eigentlich den
Asphalt wieder verlassen sollten. Dank GPS haben wir das aber nur ein paar
hundert Meter weiter bemerkt, direkt vor dem Denkmal für den 1967 bei der Tour
de France verstorbenen Radrennfahrer Tom Simpson. Von hier aus kraxelten wir
circa 300 m über ein Geröllfeld zurück auf unseren Track. Die losen Steine
klirrten wie Glasscherben unter unseren Latschen, und man hätte daraus
vielleicht ableiten können, dass sie auch so scharfkantig sein könnten. Haben
wir aber nicht, jedenfalls nicht sofort. Auch nicht, als sich mein Hinterreifen
mit einem lauten Knall schlagartig von jeglichem Druck befreite. Allerdings fing
ich an, die Entscheidung, nur einen Reserveschlauch mitzunehmen zu bereuen. Erst
recht beim Anblick des etwa 2 cm langen, augenscheinlich irreparablen Risses,
den wir nach der Demontage entdeckten. Schlauerweise verzichtete ich auf
gründliche Ursachenforschung und montierte den einzigen Ersatzschlauch, den ich
hatte. Dieser hat dann auch fast einen Kilometer gehalten, bevor ein erneuter
Knall neues Unheil ankündigte. Bei der verspäteten Analyse verdächtigten wir
zunächst ein verrutschtes Felgenband als Verursacher und bastelten Ersatz aus
Gewebeband. Erst bei der Montage des Reifens fiel uns ein klaffender Schnitt in
der Seitenwand des Reifens auf. Mist, was jetzt? Wir hatten noch gut 70 km vor
uns, die nächste Straße war 20 km entfernt. Das gelegentliche Knallen von
Schrotflinten trug auch nicht gerade zur Beruhigung bei. Wir hofften, dass uns
keiner der Jäger für Wildschweine hielt.
Mit
dem gerade demontierten Felgenband verstärkten wir den Reifen von innen,
montierten den Schlauch, pumpten auf Minimaldruck auf und hofften das Beste. Das
schien zu funktionieren, aber ich hatte schon entspanntere Abfahrten. Wie auf
Eiern kroch ich den Singletrial talwärts, teils fahrend, teils schiebend. Mein
zunehmender Übermut wurde nur vorübergehend durch einen Abgang über den Lenker
eingebremst. Ein paar Kratzer und eine verlorene Sehhilfe waren aber zu
verschmerzen, und endlich kam die Straße in Sicht. Noch 50 km, und nur 600
Höhenmeter nach Sisteron, wo wir um 18:30 Uhr endlich ankamen. Leider hatte der
örtliche Radladen schon geschlossen. Wir checkten im Grand Hotel du Cours ein
und reservierten einen Tisch im dazugehörenden Restaurant. Wir hatten nämlich
den ganzen Tag nichts gegessen. Eine Hüttenkultur wie in den österreichischen
oder italienischen Alpen gibt es in den französischen Westalpen nicht. Zum
Ausgleich gönnten wir uns zum Abendessen jeweils zwei Hauptgerichte und
bestellten bei der etwas verwunderten Bedienung ein Rindersteak, nachdem wir
unseren Nudeln-Gang verdrückt hatten. Das Essen war wirklich in Ordnung, und
weil wir vom Vortag gelernt hatten, musste heute eine Flasche Rotwein reichen.
Dafür gönnten wir uns noch einen Pastis, bevor wir uns gegen 23:00 Uhr in unsere
Einzelzimmer zurückzogen
4.9.2018, Zweite Etappe, Sisteron – Digne-Les-Bains
83,4 km, 1899 hm bergauf, 1786 hm bergab
Das erste Problem des Tages kündigte sich schon vor dem Frühstück an. Um 7:30
Uhr klopfte Gunther an meine Zimmertür und verkündete, dass sämtliche GPS Daten
von seinem Garmin-Navi verschwunden wären. Er vermutete, dass er die Daten am
Vorabend versehentlich gelöscht hatte. Wir hatten ja noch mein Navi, und da
beide Geräte laut Hersteller angeblich kabellos koppelbar sein sollten,
versuchten wir, dies zu tun und die Daten von meinem Gerät auf Gunthers Navi zu
schupsen. Das hat zwar nicht geklappt, dafür habe ich dabei die Daten für die
heutige Etappe zerschossen. Der Tag fängt ja super an. Also erst mal zum
Frühstück, und zumindest das war ok, wenn auch nicht gerade ein Schnäppchen.
Im Hotel wurde uns ein nahegelegener Fahrradladen empfohlen, welcher um 9:00 Uhr
öffnen sollte. Außerdem haben wir im Internet einen Garmin-Händler in der Nähe
ausfindig gemacht. Also machte ich mich auf zum Radladen, während Gunther beim
Garmin-Juwelier bei der Aktion Datenrettung Hilfe suchte. Beides hat nicht
geklappt, der Fahrradladen sollte erst um 14:00 Uhr öffnen und der Garmin-Typ
konnte nicht helfen.
Betreffend
meines Reifens war die letzte Hoffnung ein Intersport etwa 6 km außerhalb der
Stadt. Zum Glück lag das ungefähr auf unserer Strecke. Dort fand ich dann auch
einen passenden Reifen. Der war zwar ziemlich schwer, aber dafür sollte er auch
leidlich robust sein. Außerdem habe ich noch zwei extradicke Ersatzschläuche
sowie ein Felgenband erstanden. Während ich vor dem Laden meine Beute montierte,
machte sich Gunther auf die Suche nach einem Computer, mit dessen Hilfe wir
hofften, die GPS-Daten von meinem auf sein Gerät kopieren zu können. Einen
Computer konnte Gunther zwar bei einem Reifenhändler in der Nähe finden, aber
funktioniert hat der Datentransfer leider nicht. Also machten wir uns ohne
GPS-Track auf den Weg und bemühten die Auto-Routing-Funktion des Garmin. Ich
weiß bis heute nicht, ob wir da etwas mit den Einstellungen vergeigt haben,
jedenfalls schien uns das Gerät unter Ausnutzung sämtlicher Steigungen
geradewegs in die Walachei zu lotsen, obwohl wir eigentlich nur auf einer
kleinen Straße durch ein Tal hätten rollen müssen. So aber haben wir ein paar
recht steile Schiebestücke eingebaut. Eine schweißtreibende Beschäftigung, zumal
es auch schon wieder fast 30 Grad warm war.
Etwas
frustriert über den bisherigen Verlauf des Tages und der Tatsache, dass wir für
Rest des Tages weder einen guten Plan noch GPS-Daten hatten, suchten wir bei
Salat und Orangina-Schorle Trost in einem kleinen Straßenrestaurant in La Motte
Du Caire. Während wir über den Papierkarten brüteten, traf uns aber ein
plötzlicher Geistesblitz. Eventuell könnte das Problem mit Gunthers GPS Daten ja
daran liegen, dass die Speicherkarte nicht korrekt eingelegt war!? War sie
nicht… nach korrektem Einlegen und Verriegeln der Karte waren die Daten wieder
da. Wir waren also wieder im Geschäft. Für die originale Zahn-Etappe war es aber
mittlerweile zu spät. Egal, wir hatten ja schon eine Alternative ausgearbeitet.
Diese führte uns zunächst auf Asphalt, dann auf Schotter auf teilweise extrem
steilen und für uns nicht fahrbaren Sträßchen und Trials über den Col de Font
Belle und den Col de l’Hysope. Die letzten 15 km folgten wir wieder der
originalen Strecke über kleine Wegen und Sträßchen und durch malerische Dörfchen
nach Dignes-Les-Bains.
Zunächst hatte ich den sehr kurz geratenen Hotelier im Hotel Central komplett
hinter dem Tresen übersehen, aber als sich der freundliche Herr akustisch
bemerkbar gemacht hat, klappte das Einchecken problemlos. Schnell hatten wir die
Räder im Heizraum des Hotels verstaut, um dann gleich rüber in die Bar nebenan
auf ein paar Radler zu gehen. Diese wurden auch relativ zügig von einem Kellner
mit unglaublich dreckigen Klamotten serviert. Gegen den Kerl waren sogar wir
relativ sauber. Trotzdem gönnten wir uns vor dem Abendessen eine Dusche und
haben auch unseren Klamotten noch gewaschen. Gunther hatte zuhause für jede
Station die kulinarischen Highlights ergoogelt. In Digne-Les-Bains waren die
sorgsam auf einem Zettel notierten Genusstempel an diesem Tag aber leider alle
geschlossen. Wir machten uns also ganz altmodisch auf die Suche. Da die
mittlerweile bewährte Kombination von Nudeln und Fleisch nirgends zu finden war,
gönnten wir uns erst eine Portion Spagetti beim Italiener. Als Gunther beim
Bezahlen einen Blick auf den Koch werfen konnte, stellte er fest, dass
schmuddelige Klamotten hier in der Gastronomie wohl nicht ganz unüblich sind.
Trotzdem ist uns der Hunger nicht vergangen und wir zogen zum Fleisch-Gang
10 Meter weiter ins Etablissement
nebenan. Das Rindersteak war ok, aber nicht umwerfend, und schon gar nicht so
gut wie das am Vortag. Dafür war es halt etwas teurer.
In der Schmuddelbar neben unserem Hotel bestellten wir bei der versifften
Ordonanz zum Abschluss noch einen Pastis, bevor wir uns gegen 22:45 Uhr in
unsere Gemächer zurückzogen.
5.9.2018, Dritte Etappe, Digne-Les-Bains - Villars-Colmars
65,1 km, 2175 hm bergauf, 1567 hm bergab
Obwohl unsere Fenster Richtung Hauptstraße zeigen, war es nachts nicht so laut
wie befürchtet. Erst als morgens um 6:30 Uhr das Müllauto mit integriertem
Laubbläser am Fenster vorbeifuhr, war es um die Bettruhe geschehen. Das
Frühstück war französisch-spartanisch und wurde vom Tresen-Knirps vom Vortag
geschäftig serviert.
Auch heute war das Wetter wieder super. Nachdem wir unseren geschundenen Rädern
ein paar Tropfen Öl gegönnt hatten, gingen wir um 8:15 Uhr die dritte Etappe an
und hofften auf einen Tag ohne nennenswerte Zwischenfälle.
Auf Asphalt radelten wir aus der Stadt und absolvierten auch die ersten
Höhenmeter des Tages, bevor wir links auf einen Schotterweg abbogen. Dieser war
zwar teilweise recht steil, aber noch fahrbar. Nur die letzten 200 Höhenmeter
zum Pas de la Faye bescherten uns 30 Minuten Schieben und Tragen auf einem recht
schmalen Single-Trial. Oben auf dem Pass machten wir erstmal Pause. Wir
beobachteten gerade einen Steinadler, der die Thermik nutzend seine Kreise zog,
als plötzlich ein Segelflieger dieselbe Thermik suchend haarscharf an der
Felskante entlang, und dann noch haarschärfer über unsere unbehelmten Köpfe
schoss.
Die Abfahrt auf dem Trial war für uns zu ca. 70% fahrbar. Nach ein paar hundert
Höhenmeter bog der Weg auf einen etwas breiteren, abschüssigen Wirtschaftsweg,
der es uns erlaubte, unsere Fahrgeschwindigkeit soweit zu erhöhen, dass wir den
aus einem Hof schießenden, zugegebenermaßen etwas kurzbeinigen Köter relativ
leicht abhängen konnten.
Der
Wasserstand in unseren Radflaschen war mittlerweile bedenklich niedrig, und von
Gastronomie war weit und breit nichts zu sehen. In einem etwas
heruntergekommenen, aber durchaus pittoresken Dorf konnten wir aber unsere
Radflaschen am örtlichen Brunnen auffüllen. Das war auch dringend notwendig,
denn der anschließende Anstieg über den Col du Defens zum Col de Séoune
bescherte uns nämlich nochmal 30 Minuten Schieben in praller Sonne auf einem
teilweise extrem steilen Schotterweg.
Die Abfahrt war dafür komplett fahrbar. Unten angekommen füllten wir nochmal
unsere Radflaschen an einem Dorfbrunnen. Die letzten 18 Kilometer nach
Villars-Collmar verliefen erst auf einem kleinen Landsträßchen, dann auf einer
zwar breiten, aber wenig befahrenen Hauptstraße leicht bergauf. Dort haben wir
es nochmal fliegen lassen, weil wir ziemlich Hunger hatten. Einkehrmöglichkeiten
an der Strecke gab es nämlich den ganzen Tag keine.
Der letzte Teil der Etappe entsprach nicht ganz dem Zahn’schen Original. Wir
hatten schon im Vorfeld beschlossen, dass wir auf das von Zahn vorgeschlagene
Massenlager in der Gite ´d Etappe am Col Saint Michel gerne verzichten wollten
und stattdessen lieber den Komfort eines Gasthauses in Anspruch nehmen würden.
Das Nächstgelegene war das Hôtel Restaurant Le Martagon in Villars-Colmars, wo
wir um 16:30 Uhr ankamen. Das kleine Hotel liegt sehr idyllisch und wir haben
uns gleich wohl gefühlt, besonders als wir auf der Terrasse saßen und die
servierten Schinken- und Käsebrote mit ein paar Radler runterspülten.
Nach dem Duschen und Wäschewaschen war dann sogar noch eine Stunde Zeit für ein
Nickerchen in den sauberen und gemütlichen Einzelzimmern. Für 19:30 Uhr hatten
wir einen Tisch im Restaurant reserviert, weil dieses erstens als Empfehlung auf
Günthers Zettel stand und zweitens fußläufig sowieso keine Alternative
erreichbar war. Das Essen dort war wirklich klasse. Die drei Halbpension-Gänge
starteten mit Foie-Gras, dann gab es ein recht gutes Steak. Tiramisu musste auch
noch sein, und ohne den mittlerweile obligatorischen Pastis konnten wir uns
sowieso nicht in unsere Betten verkriechen, was wir dann um 23:00 Uhr taten.
6.9.2018, Vierte Etappe, Vilars-Colmars – Valberg
57,4 km, 1794 hm bergauf, 1347 hm bergab
Draußen
schien die Sonne vom strahlend blauen Himmel. Allerdings sollte es ab Mittag
heftig regnen, und auch die Wetter-App prognostizierte eine
Regenwahrscheinlichkeit von 100%. Aus diesem Grund haben wir uns beim recht
guten Frühstück dafür entschieden, nicht über den Col Saint Michel zu gehen.
Dieser Übergang beinhaltet nämlich eine recht lange Schiebestrecke in
ausgesetztem und exponiertem Gelände, welches man bei Gewitter besser meidet.
Stattdessen wollten wir diesen kritischen Übergang auf der Straße umfahren.
Vorher allerdings machten wir noch ein Foto mit Selbstauslöser vor unserem
malerischen Hotel.
Die Shuttle-Radler an der Bushaltestelle bedachten uns mit mitleidigen Blicken,
als wir an ihnen vorbeifuhren, aber die 900 Höhenmeter auf dem kleinen
Teersträßchen hoch zum Col de Champ waren sehr angenehm zu fahren. Es wurde
allerdings schon deutlich kühler und am Himmel zogen dicke Regenwolken auf.
Trotzdem wollten wir oben auf der Passhöhe noch kurz ein Foto schießen. Wollten
wir… aber dazu braucht man eine Kamera, und die hatte ich nach dem letzten
Selfie vor dem Hotel schlauerweise stehen einfach stehen lassen.
Ich habe gleich im Hotel angerufen und nachdem ich mich mit meinen lausigen
Französischkenntnissen einigermaßen verständlich gemacht hatte, hat sich das
sehr hilfsbereite Hotel-Team gleich auf die Suche nach dem Ding gemacht, während
ich live übers Telefon über den Verlauf der Suchaktion informiert wurde. Meine
mageren Kenntnisse der französischen Sprache haben aber dazu geführt, dass ich
das Suchgebiet nicht eindeutig beschreiben konnte, und so blieb die Suche
zunächst erfolglos.
Die 800 Höhenmeter lange Abfahrt auf Asphalt half, vom Frust etwas abzulenken.
Anfangs war es noch ziemlich kalt, aber weiter unten schien noch die Sonne und
es war auch angenehm warm. Deshalb beschlossen wir, eine Nudelpause auf der
Terrasse eines Restaurants an der Straße einzulegen. Das Servierte war
schmackhaft und gar nicht so teuer. Für Freude sorgte auch der Anruf des Hotels
vom Vortag: Die Kamera war gefunden und sollte an meine Heimatadresse geschickt
werden (was dann auch geschehen ist).
Jetzt konnten uns auch die wieder aufziehenden Regenwolken nicht die Laune
verderben. Wir hatten noch 800 Höhenmeter und 15 km auf vorwiegend asphaltiertem
Geläuf zu bewältigen. Zunächst blieb es trocken, aber 200 Höhenmeter unterhalb
unseres Tagesziels öffnete der Himmel die Schleusen. Es goss wie aus Eimern, und
so mussten wir nicht nur gegen die Steigung, sondern auch gegen die Strömung der
Sturzbäche, die auf der Straße talwärts schossen, ankämpfen.
Komplett nass kamen wir in Valberg an und fanden auch gleich das Hotel Le Chalet
Suisse, welches von außen einen passablen Eindruck machte. Diese Übernachtung
war ja auch die teuerste der ganzen Tour.
Das Personal an der Rezeption war freundlich und versuchte die Sauerei, die wir
mit unseren triefenden Klamotten anrichteten, zu ignorieren.
Die Zimmer waren ausreichend groß und sauber, jedenfalls bevor wir sie betraten.
Duschen und Wäschewaschen war heute besonders wichtig. Bei Letzterem konnte ich
feststellen, dass eine Socke durchaus in der Lage ist, den Überlauf eines
Waschbeckens recht effizient abzudichten. Gemerkt habe ich das erst, als das
Badezimmer unter Wasser stand…
Da die Hotelbar noch geschlossen hatte, besuchten wir die Bar gegenüber und
tranken dort ein paar Radler, um uns für die anstehende Restaurant-Suche zu
stärken.
Valberg ist ein Skiort, wie er typisch für Frankreich ist. Diese Orte bestehen
meist aus rücksichtslos in die Bergwelt gebaute Wohnsilos mit ein paar Bars und
Restaurants, die außerhalb der Saison meist geschlossen sind. Ob es am Wetter
gelegen hat, dass das Ganze etwas schmuddelig wirkte, weiß ich nicht. Jedenfalls
waren Gunthers Restaurant-Empfehlungen samt und sonders geschlossen und auch
sonst war nichts Ansprechendes zu finden. Wir reservierten deshalb für den Abend
einen Tisch im Restaurant unseres Hotels. Der abendliche Anruf zuhause musste
diesmal vom Festnetz der Rezeption erfolgen, weil sämtliche Mobilfunknetze
aufgrund des Starkregens schon seit Stunden ausgefallen waren. Auch ausreichend
alte Zeitungen für die durchweichten Latschen ergatterten wir an der Rezeption.
Nach zwei Stunden Ruhepause standen wir pünktlich um 19:30 Uhr im Restaurant auf
der Matte. Der uns zugewiesene Tisch entsprach zunächst unseren Erwartungen, als
jedoch am Nebentisch eine Gruppe übergewichtiger Schaumschläger aus dem
Rheinland einfiel, war es mit der Ruhe vorbei. Getoppt wurde der Radau, den die
Motorrad-Maulhelden veranstalteten noch vom lästerlichen Qualm, der sich im
Gastraum breitmachte, als Teile der Truppe mittels eines Raclette-Brenners Käse
in Kohlenstoff und Gestank verwandelten. Das Brennen in den Augen war für mich
schon schlimm, Käse-Allergiker Gunther hat es bestimmt noch mehr genossen. Das
servierte Essen war dann bestenfalls unteres Mittelmaß und für das Gebotene
maßlos überteuert. Ein paar verkochte Nudeln mit lausiger Fertig-Sauce müssen
nicht fast 30 Euro kosten, auch nicht in einer Hütte, die den Namen „Schweiz“ im
Namen führt. Der Wein war glücklicherweise ok, aber satt waren wir nicht.
Deshalb stand Teil zwei der Suche nach Essbarem an, diesmal mit deutlich
reduzierter Akzeptanzschwelle. Eine einfache Pizzeria wird ja wohl selbst in
Valberg aufzuspüren zu sein. Um es kurz zu machen: Wir haben etwas gefunden,
aber ich möchte nicht mehr darüber sprechen. Jedenfalls haben sich an diesem
Abend alle unsere Vorurteile betreffend der Qualität französischer Gastronomie
bestätigt. Den Frust wollten wir noch mit zwei Pastis an der Hotelbar
hinunterspülen, der uns auf dem verdreckten Tresen serviert wurde, bevor wir uns
um 22:45 Uhr in unsere Betten verkrochen.
7.9.2018, Fünfte Etappe, Valberg – Rimplas
52,1 km, 1631 hm bergauf, 2297 hm bergab
Um
8:00 Uhr war Wecken. Das Frühstück war ganz passabel, und draußen schien schon
die Sonne, als wir um 9:00 Uhr zur fünften Etappe aufbrachen. Nach ein paar
Kilometern bog unsere Strecke von der Straße ab und führte über verlassene
Hohlwege und schöne Trials talwärts.
Unten angekommen trafen wir wieder auf die Straße, welcher wir durch eine
beeindruckende Schlucht talauswärts folgten. Etliche Tunnel konnten wir auf der
alten Straße umfahren und in der Schlucht war es auch angenehm kühl. Unten in
Gorge du Cains bogen wir auf ein kleines Sträßchen, das uns hoch zum Col de la
Sinne bringen sollte. Es war mittlerweile schon recht warm geworden und die
umliegenden Berge hatten hier endgültig das Kiesgruben-Flair der ersten Tage
verloren. Das Sträßchen wurde immer steiler und so kurbelten wir auf dem kleinen
Kettenblatt, vorbei an malerischen Dörfchen zum Pass. Oben gönnten wir und ein
kleines Päuschen und genossen das Bergpanorama der Seealpen. Zunächst dem
kleinen Sträßchen weiter folgend rollten wir bergab, bis unsere Strecke auf
einen etwas verblockten Trial mündete. Teilweise mussten wir hier schieben. Die
Tatsache, dass sich Gunthers Sattelstütze trotz beträchtlichem Krafteinsatz
nicht absenken lies, machte es zumindest für ihn nicht einfacher. Der kleine und
teilweise zugewachsene Weg beschäftigte uns ein paar Stunden und führte uns über
gelegentliche Anstiege, meist aber talwärts durch verfallene Dörfer und über
eine schicke Hängebrücke zurück in die Zivilisation. Das war auch höchste Zeit,
weil unsere Getränkevorräte mittlerweile aufgebraucht waren. In St Sauveur
gönnten wir uns ein paar Orangina-Schorle in einer Bar an der Straße und füllten
unsere Flaschen auf. Der letzte Anstieg des Tages versprach nochmal ziemlich
anstrengend zu werden.
Die
ersten 200 Höhenmeter fuhren wir recht entspannt auf der Straße, welche dann in
eine sehr steile Beton-Piste und später in einen zugewachsenen Trial mündete.
Die letzten 300 Höhenmeter bewältigten wir auf einem in den Fels gesprengten
Schotterweg, auf dem kein Lüftchen wehte.
Das Hotel Randoneur liegt direkt am Ortseingang des pittoresken Dörfchens
Rimplas. Wir kamen um circa 16:15 Uhr dort an, aber leider sollte die Rezeption
erst um 17:00 Uhr öffnen und das Hotel war noch verschlossen. So nutzten wir die
Zeit für einen Rundgang im idyllischen Örtchen mit engen Gässchen, vielen
Brunnen und alten Häusern, aber leider ohne geöffnete Bar. Also fuhren wir
zurück zum Hotel, wo wir unsere letzten Münzen zusammenkratzten und dem
Getränkeautomat auf der Terrasse mit toller Aussicht zwei Dosen Apfelsaft
entlockten.
Als kurz vor 17:00 Uhr ein nagelneuer Ferrari 458 und eine seltsame Geräusche
von sich gebende BMW 1200RT vorfuhren, wussten wir, dass es sich hier nicht um
eine Absteige handelte. Pünktlich um 17:00 Uhr öffnete die Rezeption und ein
quirliger und sehr netter Mirelle Mathieu-Verschnitt händigte uns unsere
Zimmerschlüssel aus. Glücklicherweise hatten wir zwei Einzelzimmer reserviert,
denn das Hotel war ausgebucht und im Ort das einzige.
Die Zimmer waren zweckmäßig eingerichtet und sauber. Nach dem Duschen und
Wäschewaschen trafen wir uns um 18:00 Uhr auf der Terrasse auf ein paar Radler.
Vorher gönnte Gunther seiner festsitzenden Sattelstütze noch ein paar Tropfen
Öl, in der Hoffnung, dieses würde über Nacht das festkorrodierte Stück lösen.
Auch heute waren an der Strecke keinerlei Hütten, weshalb wir schon mächtig
Kohldampf hatten. Zum Glück rief Frau Mathieu schon um 19:00 Uhr zum Essen in
den schmucken Gastraum. Die zur Vorspeise gereichte Quiche schmeckte Gunther so
gut, dass er noch eine zweite erbettelte. Auch der Rest des Essens war sehr gut
und der Service sehr freundlich. Ein komplettes Kontrastprogramm zum Vortag.
Die Terrasse wurde mittlerweile von tausenden kleiner weißen Schmetterlingen
bevölkert, die wir auch schon tagsüber auf der Strecke bewundert hatten. Wir
gesellten uns mit zwei Absacker-Pastis zu ihnen und der Kellner, der jetzt
Feierabend hatte, erklärte uns, dass es sich dabei keineswegs um ein Zeichen
intakter Fauna handelt, sondern ganz im Gegenteil um eine invasive Art aus
Asien, die hierzulande keine Fressfeinde hat und große Schäden an der Flora
anrichtet. Auch wollte er uns den Schlüssel zu seinem Catherham Super 7, der im
Hof des Hotels stand, nicht für eine nächtliche Spritztour ausleihen, und so
zogen wir uns um 23:00 Uhr zufrieden mit der bisher schönsten Etappe der Tour in
unsere Gemächer zurück.
8.9.2018, Sechste Etappe, Rimplas – Sospel
79,7 km, 2618 hm bergauf, 3151 hm bergab
Pünktlich um 8:00 Uhr versammelten wir uns zum Frühstück, das recht üppig und
gut war. Dass das Ei quasi roh war, als wir es aus dem Selbstbedienungs-Kocher
nahmen, haben wir ja selbst verbockt, aber rohe Eier sollen ja mächtig Kraft
geben. Das war auch ganz gut, denn heute stand eine knackige Etappe an. Deshalb
ging es bei strahlendem Sonnenschein pünktlich um 9:00 Uhr los, obwohl sich
Gunthers Sattelstütze immer noch nicht rührte.
Erst fuhren wir auf Asphalt bergan zum Col Saint Martin. Bislang war alles
fahrbar, aber das sollte sich ändern, als wir auf dem Pass auf die Skipiste
bogen. Diese war teilweise so steil, dass selbst Schieben eine Herausforderung
war. Die Piste führte uns über den Col du Suc und den Col de Colmiane zur
Bergstation des Skiliftes. Weiter ging es auf einem Singletrial hoch zum Col des
Deux Caires. Oben angekommen wollte uns das Höhenprofil in unseren Navis
suggerieren, dass es ab jetzt einfacher, weil flacher wird. So genossen wir die
tolle Aussicht auf die Bergwelt und die alten Bunker bei einer kleinen Pause.
Die vielen Fliegen in allen Formen, Größen und
Farben
motivierten uns aber bald zur Weiterfahrt… Fahren war allerding in diesem Fall
nur recht selten möglich. Der Fernwanderweg GR5, der uns für die nächsten 3
Stunden und 800 Höhenmeter bergab beschäftigte, war derart verblockt, dass wir
nur 30-40% davon fahren konnten. Endlich fanden wir auf unseren Navis einen
Forstweg, der in eine ähnliche Richtung führte wie unsere GPS-Daten. So machten
wir fahrend etwas Strecke. Die Freude währte aber nicht sehr lange und wir
mussten den Schotterweg wieder verlassen. Der anschließende Singletrial war
besser fahrbar.
Zeitlich waren wir schon ziemlich im Verzug und so waren wir froh, endlich auf
eine Straße zu kommen. Aber warum war hier alles mit rotem Flatterband
abgesperrt? Autorennen! Man sagte uns, in 45 Minuten könnten wir weiterfahren.
Prima, das wird eng heute! Noch hatten wir den Col de Turini vor der Brust, und
wir waren noch nicht einmal unten! So beschlossen wir, für den Aufstieg zum Col
de Turini die Straße zu nehmen, um etwas Zeit zu sparen.
Die „Rennwagen“, die an uns vorbeikrochen, schienen es lange nicht so eilig zu
haben wie wir. Nach 45 Minuten wurde die Strecke endlich für uns freigegeben.
Nichts wie runter. In Lantosque stärkten wir uns in einer Bar. Gunther holte
noch Essbares vom Bäcker nebenan. Schnell weiter war die Deviset. Der Einstieg
zur Passstraße war rasch gefunden, aber die dort rumlungernden Streckenposten
sollten nichts Gutes für uns bedeuten. Richtig, auch die Passstraße war wegen
dem Autorennen gesperrt. Also blieb uns nur die zahn‘sche Offroad-Variante.
Diese war zunächst sogar fahrbar, dann aber wurde der Single Trial so steil,
dass wir gelegentlich schieben mussten. Die letzten 400 Höhenmeter waren dann
auf einem Wirtschaftsweg gut fahrbar. Um 19:30 Uhr waren wir endlich oben.
Gunther war schon mächtig dehydriert, weil wir unten unsere Radflaschen nicht
gefüllt hatten. Oben haben wir deshalb erstmal vor einem Restaurant ein paar
Orangina- Schorle getrunken. Während Gunther eine Gartenschlauch-Dusche nahm,
habe ich kurz bei unserem Nachtquartier angerufen, um unsere verspätete Ankunft
anzukündigen. Keine Ahnung, ob
man
mich da verstanden hat. Wir hatten noch 25 km zu fahren, zum Glück alles auf
Asphalt und bergab. Die Straße vom Col de Turini hinunter nach Sospel führt
durch ein wildes Tal, das wir in der Dämmerung noch einigermaßen erkennen
konnten. Und wir konnten uns gut vorstellen, wie die Autos der Rallye Monte
Carlo auf dieser legendären Straße in der „Nacht der langen Messer“ um die Ecken
pfeifen.
Um 20:30 Uhr haben wir im letzten Tageslicht unser heute etwas seltsames Domizil
erreicht. Wir hatten uns nämlich für die Nacht in einem Wohncontainer auf einem
Campingplatz eingenistet, weil in Sospel kein Hotel mit zwei freien
Einzelzimmern zu finden war. Der Wohncontainer machte einen einigermaßen
sauberen Eindruck, und wir konnten hier auch mal unsere mitgeschleppten
Hüttenschlafsäcke benutzen. Bettwäsche gab es nämlich genauso wenig wie
Handtücher. Naja, einmal kann man sich ja auch mit einem Buff-Halstuch
abtrocknen.
Die gewaschene Wäsche haben wir draußen auf unserer Terrasse aufgehängt, bevor
wir zum Essen ins Restaurant des Campingplatzes gingen. Das übliche
Erst-Nudeln-dann-Pizza-Menü war ok und zudem relativ preiswert. Rotwein und Bier
wäre zwar heute zur Erlangung der notwendigen Bett-Schwere nicht notwendig
gewesen, durfte aber trotzdem nicht fehlen. Um 23:15 Uhr fielen wir müde in
unsere Hüttenschlafsäcke.
9.9.2018, Siebte Etappe, Sospel – Menton
49,9 km, 1367 hm bergauf, 1783 hm bergab
Um
8:00 Uhr erhoben wir uns leidlich erholt aus unseren Betten. Leider ist die
Wäsche auf der Terrasse über Nacht kein bisschen getrocknet und war noch
tropfnass. Wir mobilisierten sämtliche im Wohncontainer verfügbaren Wärmequellen
und schafften es tatsächlich, in einer guten halben Stunde die Schuhe am
4-Flammen-Gasherd, die Hosen am E-Ofen und die Trikots in der Mikrowelle zu
trocknen.
Frühstück wurde auf dem Campingplatz Le Mas Fleuri leider nicht angeboten. Mehr
als ein paar Feigen vom Baum hinter unserem Wohncontainer waren nicht drin. Also
fuhren wir in die Stadt und frühstückten dort in einem Café unsere
Do-It-Yourself Baguettes, die wir aus Einkäufen vom Bäcker und Supermarkt
nebenan selbst zusammenbauten.
Der Final-Tag einer Alpentour ist immer etwas Besonderes. Es ist eine seltsame
Mischung aus Freude über das Geschaffte und das baldige Ende der Strapazen, aber
andererseits auch etwas Melancholie, weil die Tour bald schon wieder vorbei ist.
Deshalb haben wir beschlossen, heute noch ein paar Extra-Kilometer einzubauen.
Anstatt direkt nach Menton zu Radeln, machten wir einen Schlenker über
Ventimiglia. Hauptargument dafür waren die tollen Meeresfrüchte-Spagetti im
Strandrestaurant, die wir vom letzten Jahr in guter Erinnerung hatten.
Die Auffahrt zum Col de Roulabre auf Schotter ist zwar recht steil, aber
komplett fahrbar. Als wir ein Schild passierten, welches auf Ziegenherden und
dazugehörige Hirtenhunde hinwies, beschlossen wir, für die nächsten Kilometer
zusammen zu bleiben. Wir hofften, damit unsere statistischen Überlebenschancen
zu verdoppeln, denn immerhin könnte sich einer von uns aus dem Staub machen,
während der andere von den angekündigten Bestien dahingerafft wird.
Als wir um eine Ecke bogen, erblickten wir eine beachtliche Ziegenherde, die den
Weg versperrte. Es dauerte nicht lange bis sich die Herde teilte wie das Rote
Meer vor Moses, und wir erblickten die Bestie. Ich gebe zu, das Vieh machte
einen recht entspannten Eindruck… jedenfalls entspannter als wir. Dass wir weit
und breit keine Menschenseele erblickten, die sich eventuell für das Biest
verantwortlich fühlen könnte, beruhigte auch nicht gerade.
Ob es der Beschützer-Instinkt war oder der an einen nassen Artgenossen
erinnernde Gestank unserer Rucksäcke, der den Hund dazu veranlasste, uns ein
paar hundert Meter zu begleiten, lässt sich nicht sagen. Wir versuchten
jedenfalls, unsere geschundenen Haxen hinter unseren Fahrrädern zu verstecken,
während wir langsam weiterschoben. Endlich erblickten wir hinter einer Kurve den
zugehörigen Hirten, der sich in einem blankpolierten Pickup bei laufendem Motor
(wegen der Klimaanlage) mit seinem Handy beschäftigte. Modernes Ziegenhüten
eben.
Ohne lästige Begleitung setzten wir unseren Weg teilweise fahrend, teilweise
schiebend über den Colla Bassa fort, wo wir die Grenze zu Italien passierten.
Die Abfahrt auf italienischer Seite führte über einen recht breiten Weg, der
aber durch den tiefen Schotter sowie den kindskopfgroßen Steinen streckenweise
Schieben erforderte. Zudem angelten die Dornen ausladender Brombeerbüsche nach
Fahrer und Reifen und es dauerte nicht lange, bis wir den ersten Plattfuß
hatten. Diesmal hat es Gunthers Vorderrad erwischt. Während Gunther den Schlauch
wechselte kamen wir wegen des fehlenden Fahrtwinds noch mehr ins Schwitzen, denn
es war nicht nur sehr warm, sondern auch recht schwül.
Das letzte Stück des Weges war dann gut fahrbar und so kamen wir um 14:00 Uhr in
Ventimiglia an. Wir düsten geradewegs zum Strand für ein Finisher-Bild und ein
paar Radler. Der Gesichtsausdruck des Kellners verriet eine gewisse
Ungläubigkeit, da ihm offenbar nicht bekannt war, wieviel Flüssigkeit in einen
Menschen passt. Das hätte er eigentlich vom letzten Jahr noch wissen müssen.
Wiedererkannt hat er uns nämlich, jedenfalls ist im aufgefallen, dass dieses
Jahr einer fehlt.
Selbstverständlich ließen wir es uns auch nicht nehmen, kurz ins Meer zu hüpfen,
bevor wir gerade noch rechtzeitig bevor der Koch Feierabend hatte die besagten
Meeresfrüchte-Spaghetti bestellten. Auch dieses Jahr waren diese wieder sehr
gut. Sicherlich die besten Nudeln der Tour.
Wir
hielten es für eine gute Idee, von hier aus die Alles-Bestens-Anrufe zu
erledigen, solange wir uns noch problemlos artikulieren konnten. Die vielen
Radler in der prallen Sonne löschten nämlich nicht nur den Durst.
Die letzten Kilometer nach Menton bewältigten wir ziemlich unspektakulär auf der
Straße entlang der Cote D’Azur. Im Hotel Menton, das wir noch vom letzten Jahr
kannten, kamen wir um circa 17:00 Uhr an.
Wäschewaschen war heute nicht notwendig. Stattdessen haben wir die stinkenden
Radklamotten aromadicht versiegelt und weggepackt. Nach dem Duschen trafen wir
uns um 18:00 Uhr zur traditionellen Abschlussfeier. Wir wollten auch dieses Jahr
wieder einen würdigen kulinarischen Abschluss zelebrieren, aber die
vorgeschlagenen Restaurants auf Gunthers Zettel waren wieder allesamt
geschlossen. Also haben wir den Online Guide-Michelin bemüht, welcher uns das
Restaurant „Les Enfants Terrible“ empfahl. Zum Glück waren wir für französische
Ausgehgewohnheiten recht früh unterwegs und konnten noch einen Tisch ergattern.
Eine halbe Stunde später war der Schuppen voll.
Wir haben uns mit Austern, Teriyaki-Thunfisch, Fois Gras und Steak gut
vollgefressen und alles mit recht gutem Rotwein runtergespült. Ein Nachtisch in
fester Konsistenz passte deshalb nicht mehr rein. Flüssig funktionierte das ganz
gut mit Kaffee und Calvados.
Tradition hat natürlich mittlerweile auch der Abschluss-Caipirinha (https://de.wikipedia.org/wiki/Caipirinha),
den wir in einer Strandbar zu uns nahmen, bevor wir gegen Mitternacht ins Hotel
zurückkehrten
10.9.2018, Rückreise
1435 km
Gunther hatte für die Rückreise bei Europcar ein geräumiges Auto reserviert. Die
Europcar-Vertretung sollte erst um 8:30 Uhr öffnen, deshalb konnten wir etwas
länger schlafen und uns von den Strapazen des Vorabends erholen. Das Frühstück
im Hotel war ok, viel reingepasst hat aber nach der Orgie vom Vortag nicht.
Pünktlich um 8:30 Uhr warteten wir vor dem Büro des Autovermieters auf das
Erscheinen der Angestellten. Zum Glück war vor uns nur ein weiterer Kunde, denn
die Fahrzeugübergabe gestaltete sich etwas kompliziert, da das Büro nur mit
einer Person besetzt war, die den Papierkram und die Fahrzeugübergabe auf dem
etwa 2 Kilometer entfernten Parkplatz bewältigen musste. Um 9:00 Uhr hatten wir
endlich die Fahrräder verstaut und fuhren los Richtung Malaucène, wo wir
Gunthers Auto abholen wollten. Wir kamen gut durch, und so blieb uns noch Zeit,
in Malaucène ein paar Nudeln zu essen, nachdem wir uns von der Unversehrtheit
Gunthers Boliden überzeugt hatten. Orange, wo wir den Mietwagen zurückgeben
mussten, war nämlich nur eine halbe Stunde entfernt, und Europcar hatte noch
Mittagspause bis 14:00 Uhr.
Fast pünktlich kamen wir mit dem vollgetankten Mietwagen in Orange an und in der
Mietstation war nichts los. Etwas überrascht waren wir über den ersten Ausdruck
des zu zahlenden Betrags. Wir haben es aber recht schnell geschafft, die
Belegschaft davon zu überzeugen, dass die sich aus Mietdauer und angeblich
zurückgelegten Kilometer errechnete Durchschnittsgeschwindigkeit von etwas mehr
als 500 km/h mit dem von uns gemieteten Renault Megan Diesel auch unter idealen
Verkehrsverhältnissen nur sehr schwer zu realisieren wären. Offenbar hatte man
sich beim Ausfüllen des Übergabeprotokolls in Menton um gut 2000 km vertan. Wir
einigten uns darauf, Google Maps zu bemühen, um die Distanz zu ermitteln, und
freundlicherweise wählte die nette Dame dabei die Option „kürzeste Strecke“ aus.
Weiter ging es Richtung Heimat. Bei Gunther sind wir dank des überschaubaren
Verkehrsaufkommens gegen 21:30 Uhr angekommen. Ich bin nach dem Umladen relativ
schnell weitergefahren und habe beim Nachhause fahren die Gelegenheit genutzt,
in einer Baustelle ein polizeiliches Abschlussfoto machen zu lassen. Noch vor
Mitternacht bin ich in Overath angekommen.
Fazit
Die diesjährige Tour war wieder ein tolles Erlebnis. Einige der Etappen
erschienen uns deutlich fordernder als die Zahlen vermuten lassen, was wir auf
die teilweise recht ruppige Wegbeschaffenheit und den hohen Schiebeanteil
zurückführen. Sehr gut gepasst hat auch der Fitness-Level. Wir waren beide
gleich schnell, und so musste niemand auf den anderen warten.
Der befürchtete lukullische Super-GAU blieb weitgehend aus, allerdings muss man
in Frankreichs Restaurants den einen oder anderen Euro drauflegen, um
Genießbares zu bekommen.
Auffallend war, dass entlang der Strecke außerhalb der Ortschaften keinerlei
Gastronomie zu finden ist. Berghütten, wie man sie in Italien, Deutschland oder
Österreich findet, sucht man vergebens.
Andere Radfahrer oder Wanderer haben wir nur sehr wenige gesehen. Oft waren wir
stundenlang unterwegs, ohne eine Menschenseele zu treffen.
Wettermäßig hatten wir großes Glück und wir waren froh, dass wir die Tour in den
Spätsommer geschoben haben, weil es im August in den Seealpen sicher noch heißer
ist. Wir haben auch so genug geschwitzt.
Ideen für das nächste Jahr sind schon in ausreichender Anzahl vorhanden…
Die nackten Zahlen
Verwendete Karten:
In letzter Minute hatten wir vor der Tour beschlossen, nicht den kompletten
1:25.000 Kartensatz mitzuschleppen. Stattdessen haben wir die Karten 8 bis 13 im
Auto zurückgelassen uns stattdessen eine 1:100.000 Karte mitgenommen, welche das
selbe Gebiet abdeckt.
Das Höhenprofil
Gerd Wittmacher